Wie alle gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen fügen sich auch die Freikirchen ins Unvermeidliche oder besser: Sie gestalten die Situation mit ihren Möglichkeiten. Diese sind sehr verschieden, z.T. aber erheblich moderner und für die jetzigen Bedingungen leichter adaptierbar als in römisch-katholischen Bistümern und evangelischen Landeskirchen mit ihren jeweiligen Pfarr- bzw. Kirchengemeinden oder aber auch in orthodoxen Gemeinden.
Viele Gemeinden, die sog. neopentekostale Formen pflegen bzw. übernommen haben, stellen Videoaufzeichnungen ihrer Gottesdienste z.T. schon seit Jahren ins Internet. Sie haben also die entsprechende Technik ohnehin zur Verfügung. Und sie haben Erfahrung damit, welche Art und Weise der Gottesdienstgestaltung für solche Aufzeichnungen angemessen bzw. hilfreich ist. Selbst viele nicht-ordinierte ehrenamtliche Prediger*innen sprechen, mithilfe von Moderationskarten, frei in die Kamera. Gegenüber der abgelesenen Predigt vieler landeskirchlicher Pfarrer*innen ist das (im wahrsten Sinne des Wortes:) auf den ersten Blick ein großer Vorzug.
Andererseits gelingt es offenkundig nicht allen Pastoren, den Verlust des physischen Gegenübers rhetorisch und inhaltlich zu kompensieren. Die Gottesdienstgemeinde sitzt nun mal im Moment nicht in den Stuhlreihen des Gottesdienstortes. Zwar gibt es, anders als im traditionellen pfingstlerischen Gottesdienst, in den sog. neopentekostalen Gottesdiensten normalerweise keine Interaktion, keine spontanen Geist-Äußerungen etc. Aber die häufig nach Show-artigem Drehbuch durchgestylten, auf „Eventerlebnis“ hin angelegten Gottesdienste leben partiell doch davon, dass physisch anwesende Menschen angesprochen werden sollen. Diese wurden nämlich im Regelfall bereits an der Eingangstür von Mitarbeitenden persönlich begrüßt und werden nach dem Gottesdienst an der Kaffeebar kontaktiert. Sie sollen, wenn nicht schon geschehen, jetzt eine Entscheidung für Jesus treffen, sich einem Hauskreis anschließen, sich zur Mitarbeit in der Gemeinde bereit erklären und Geld spenden. Das ist zwar auch in den Wochen der Videoaufzeichnung oder des Live-Streaming gefragt. Aber in diesem Setting ist es keine Nebensächlichkeit, dass man sich den Kaffee zuhause selbst kochen muss. Oder besser geschrieben: Es war ein Symbol dafür, dass die persönliche Interaktion, die personale Nähe, die ein Grundkennzeichen freikirchlichen Gemeindelebens ist, jetzt physisch fehlt.
Dieses Problem löst sich in nicht wenigen Gemeinden gerade auf bemerkenswerte, und von vielen Beteiligten selbst unerwartete Weise auf. Ein O-Ton aus der freikirchlichen Szene von Frankfurt am Main, der sich in diesem Fall auf Eindrücke und Berichte aus Gemeinden von Baptisten, ICF und Foursquare (und zusätzlich LKGs) bezieht: „Man trifft sich jetzt zu Kleingruppen, Hauskreisen und Teams gemeinsam über Videochat. Vor den gestreamten Gottesdiensten treffen wir uns im Videochat und beten gemeinsam in Kleingruppen, feiern Abendmahl, haben Austausch. Durch die Technik dieser Videochaträume kommen wir mit Menschen unserer Gemeinde in Kontakt, die wir persönlich nie so wahrgenommen haben. Und all dies im wahrsten Sinne barrierefrei. Wer weiter weg wohnt, oder sonst verhindert ist, kann jetzt dabei sein. Und zwar einfach mitten drin. Wir persönlich hatten in den letzten zwei Jahren nie mehr Gemeinschaft und Interaktion in unserer Gemeinde als jetzt. Es ist geradezu gemeinschaftsfördernd. Und das greift um sich. Selbst in einer Gemeinde, in der Digitalisierung sonst sehr beschränkt war, kann ein gesundheitlich sehr geschwächtes Gemeindeglied nun endlich wieder an allem teilnehmen und auch wirklich dabei sein, mit Interaktion. Auch für Familien mit Kleinkindern bietet es ungeahnte Anschlussmöglichkeiten. Das mögen noch nicht alle entdeckt haben, aber es kommt immer mehr. Der Kaffee wird jetzt zu Hause getrunken, ja, aber gemeinsam im Gespräch mit Menschen, die man sonst nie sieht. An einem digitalen Ort, wo auch diejenigen, die sonst nicht dabei sein könnten, endlich vollwertig dabei sind. Und das lässt jeden Kaffee besser schmecken.“
Damit erreicht man sicher noch nicht alle – es gibt immer noch eine stattliche Anzahl von Menschen zwischen 70 und 95, die weder durch WWW oder YouTube noch durch Skype, Facebook oder dgl. erreicht werden. Aber es ist sicher ein großer Fortschritt gegenüber Zeiten, in denen nur möglich war, Alten und Kranken die Predigt als Audiocassette oder als Ausdruck ins Haus zu bringen. Und auch gegenüber Situationen zu Beginn noch dieses Jahres, als Christ*innen, die nicht in parochialen kirchlichen Systemen organisiert sind, zu weit weg von ihrer Gemeinde wohn(t)en, als dass sie sonntäglich an deren Gottesdienst teilnehmen konnten.