Die beste Ökumene ist die Ökumene der Begegnung. Wenn man sich kennt und versteht, verurteilt man sich nicht. Dann ist man gemeinsam auf dem Weg. Selbst wenn das Ziel unbekannt oder nur zu erahnen ist, die Gemeinschaft auf dem Weg macht selbst den schwierigsten Weg erträglich. Wie weit darf man aber gehen? Und wer beantwortet diese Frage? Und muss man sich an die Antwort halten?
Auf die Frage einer evangelischen Christin, die mit einem Katholiken verheiratet ist, antwortete Papst Franziskus bei seinem Besuch der evangelisch-lutherischen Gemeinde am Sonntag (15.11.2015) in Rom bezüglich der Abendmahlsteilnahme in konfessionsverbindenden Ehen mit erstaunlich offenen Worten, die in verschiedenen Perspektiven aufhorchen lassen.
Zuerst ist erstaunlich, wie weit der Papst diese Frage in die persönliche Entscheidung des einzelnen Christen legt: „Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr, so sagt uns Paulus, und daraus ziehen Sie dann die Konsequenzen! […] Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr. Sprechen Sie mit dem Herrn, und schreiten Sie voran!“ Dies kann in der konkreten Situation doch nur als Aufruf zum „konfessionellen Ungehorsam“ zu verstehen sein, also als Aufforderung zum wechselseitigen Besuch des Herrenmahls. Die Selbstprüfung des Einzelnen stellt damit das entscheidende Kriterium dar, was in der Konsequenz bedeutet, dass hiermit einer lange schon geforderten eucharistischen Gastfreundschaft auf der Ebene der persönlichen Entscheidung die Tür weit geöffnet wurde.
Zweitens ist nachdenkenswert, welchen Stellenwert Franziskus der Lehre zubilligt. Sie sei ein „schwer zu verstehendes Wort“, sie können denen überlassen werden, die sich damit auskennen. So sympathisch diese Stellungnahme in ihrer Selbstbescheidung anmutet, so nimmt man doch verwundert zur Kenntnis, dass gerade der, der die Lehre letztgültig normiert, sie lieber anderen überlassen möchte. Die Aussage, dass er keine „Kompetenz“ habe, die gemeinsame Feier zu erlauben, erstaunt ebenso bei der Machtfülle des Papstamtes.

Doch stimmen diese eher merkwürdigen Aussagen mit seiner Ansicht überein, dass „das Leben größer als die Erklärungen und Interpretationen“ der Lehre ist, dass die Wirklichkeit über der Idee steht, wie er bereits in seinem Lehrschreiben „Evangelii gaudium“ (EG 231) geschrieben hat. Das Leben ist größer als die Theologie. Deshalb setzt Franziskus nicht auf die Lehre und sieht offensichtlich auch keine Notwendigkeit, sie zu ändern. Von daher ist ganz klar zu sehen, dass Franziskus die ökumenischen Lehrgespräche nicht als die eigentliche und wirkungsvolle Triebfeder der Ökumene sieht, sondern die Begegnung als die Quelle weiterer Fortschritte erkennt. Dogmatik-Bücher und Interpretationen stehen deutlich hinter dem Gewissen des Einzelnen zurück. Die Lehre und ihre trennenden Auswirkungen können offensichtlich deshalb vernachlässigt werden.
Drittens betont der Papst, was in seinen Augen wichtiger ist als alle Lehrunterschiede: „Wenn wir dieselbe Taufe haben, müssen wir gemeinsam gehen.“ Auf die Taufe kommt es an. „Wenn Sie gemeinsam beten, wächst diese Taufe, wird stark; wenn Sie Ihre Kinder lehren, wer Jesus ist, warum Jesus gekommen ist, was Jesus getan hat – dann machen Sie dasselbe, sei es in lutherischer oder in katholischer Sprache, aber es ist dasselbe.“ Die Unterschiede in den Konfessionen sind also nur noch sprachliche, der Inhalt ist derselbe. Diese Aussage unterstreicht, dass der Papst weiter als seine Dogmatiker und Cheftheologen ist. Die Ökumene ist nicht das dringendste Problem, sie scheint für ihn schon so weit gelöst zu sein, dass er andere Aufgaben für die Kirche sieht, vor allem den Dienst für die Armen, Flüchtlinge und alle Menschen, die Not leiden. Nimmt man das Gewissen des Einzelnen als entscheidende Instanz des christlichen Lebens wirklich ernst, dann können sich die Kirchen wirklich gegenseitig in versöhnter Verschiedenheit stehen lassen und sich gegenseitig Gastfreundschaft und Gemeinschaft gewähren. In diesem Sinn ist vielleicht die Aussage von Franziskus zu verstehen, dies sei „die Stunde der versöhnten Verschiedenheit“!
Am Ende stimmt hoffnungsfroh, dass Franziskus den bekannten Gedanken aufgreift, wonach das Herrenmahl Stärkung auf dem Weg ist, nicht die Siegesfeier im Ziel der Ökumene. Mit diesem Gedanken lässt sich nämlich die Not der Menschen lindern, die in ganz besonderer Weise von der Trennung am Tisch des Herrn betroffen sind und von denen die konkrete Frage in dieser konkreten Situation des Besuchs gestellt wurde. Sie leben in der Familie die Einheit der Kirche vor. Sie sind also auf dem Weg und kennen als gemeinsames Ziel das eigene christliche Leben in ihren Beziehungen. Diesen macht der Papst Hoffnung und mit ihnen auch der gesamten ökumenischen Bewegung.
Der Besuch des Papstes zeigt also: Wer dem Anderen freundschaftlich begegnet, kann ihn nicht von seinem Tisch ausladen, ohne dem eigenen christlichen Gewissen zu schaden.

Dr. Paul Metzger

Quellen:

http://de.radiovaticana.va/news/2015/11/16/papst_zu_mahlgemeinschaft_ziehen_sie_die_konsequenzen/1187116 (abgerufen am 17.11.15)

http://de.radiovaticana.va/news/2015/11/16/%C3%B6kumene_mehr_m%C3%B6glich_als_die_bedenkentr%C3%A4ger_meinen/1187107 (abgerufen am 17.11.15)