Vom 15. -17. Mai 2015 tagte im Konfessionskundlichen Institut in Bensheim das Junge Forum Orthodoxie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema „Orthodoxe Theologien & Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts“. Unter der Moderation von Pfarrerin Sandra Hauser erhielten die Teilnehmer aus unterschiedlichsten Fachrichtungen die Möglichkeit, orthodoxe Theologie in der historischen Spannung zwischen marxistischen, aufklärerischen und christlichen Motiven kennenzulernen und kritisch zu beleuchten. Einen profunden Einblick in die philosophisch-theologischen Anthropologien zweier orthodoxer Theologen – Nikolaj Berdjaev und Sergej Bulgakov – vermittelte Frau Dr. Regula Zwahlen aus Freiburg. Die Referentin stellte insbesondere die oft verkannte Leistung Bulgakovs heraus, der in seiner „Theologie der Gottebenbildlichkeit“ eine christliche Antwort auf das marxistische Menschenbild gegeben hatte. Beiden, sowohl Bulgakow als auch Berdjaev, war dabei das Ziel gemein, in kritischer Auseinandersetzung mit Weber und Nietzsche die Errungenschaften der Aufklärung mit christlichem Glauben zu verbinden. Beide sahen sich dabei – wie viele andere orthodoxe Theologen auch – eher als philosophische denn als kirchliche Theologen. Einen dritten bedeutenden orthodoxen Theologen stellte Daniel Benz aus Heidelberg vor: Alexander Schmemann – ein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Paris aufgewachsener russisch-orthodoxer Theologe, der sich nicht nur im ökumenischen Dialog maßgeblich eingebracht hatte, sondern auch durch sein neues Verständnis in der Liturgie bekannt geworden war. Schmemann suchte im Rückgriff auf die frühen Kirchenväter eine „ontological fundation“ der Theologie zu begründen, also einen neuen Zugang zur Liturgie als die unmittelbare Schwelle zu Gott fruchtbar zu machen. Mit dieser Alternative zur rein wissenschaftlichen Aufarbeitung der Liturgie stellte sich Schmemann einerseits gegen universitäre, oft verkopfte Konzepte zur Liturgie, andererseits begab er sich mit seinen neuen, teilweise reformierenden Gedanken in die gleiche kirchenkritische Linie wie schon Berdjaev und Bulgakov. Zweierlei scheint aus protestantischer Perspektive auf diese orthodoxen Theologen interessant zu sein: Zum einen deren aufklärerischer, auf das Christentum zielender Blick, zum anderen ein durchaus Kirchen-kritischer Zugang zur christlichen Anthropologie und Liturgie.
Die informative und bereichernde Tagung des Jungen Forums Orthodoxie wurde am 17. Mai mit dem Besuch eines russisch-orthodoxen Gottesdienstes in Mannheim abgeschlossen. Interessenten können im nächsten Jahr an der Tagung des Jungen Forums zum Thema „Das Priesterbild in der Orthodoxie“ teilnehmen, die voraussichtlich im Mai 2016 in Bensheim stattfinden wird.

Luise Baur

Das Junge Forum Orthodoxie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist ein deutschlandweites Netzwerk evangelischer Theologiestudierender, Vikarinnen und Vikare, Assistentinnen und Assistenten und sonstiger Theologinnen und Theologen, die ein besonders Interesse an der christlichen Orthodoxie haben und über grundlegende Vorkenntnisse im Bereich der Ostkirchenkunde verfügen. Solche Vorkenntnisse können sich z.B. aus dem Studium ostkirchenkundlicher Themen an der Universität ergeben haben, aber auch durch biografische Bezüge, kirchliche Erfahrungen wie einen längeren (Auslands-)Aufenthalt im Kontext einer orthodoxen Kirche, Praktika u.a.

Das Junge Forum Orthodoxie hat es sich zum Ziel gesetzt, das Interesse junger evangelischer Christinnen und Christen an Glauben und Leben orthodoxer und orientalisch-orthodoxer Kirchen zu fördern, das theologische Wissen über die sie zu vertiefen und den Erfahrungsaustausch zwischen evangelischen Theologinnen und Theologen mit Kontakten zur Orthodoxie zu ermöglichen. Dies geschieht vorrangig im Rahmen einer Tagung, bei der einmal im Jahr ein spezifisch ostkirchenkundliches Thema exemplarisch behandelt wird.

Mit dieser Konzeption begegnet das Junge Forum zwei gegenwärtigen Entwicklungen: Zum einen ist uns seit der politischen Öffnung Osteuropas vor gut 20 Jahren die Orthodoxie geographisch faktisch näher gekommen. Die Bevölkerung eines größer werdenden Teils der EU-Mitgliedsstaaten ist orthodox geprägt. Für kirchlich und theologisch interessierte junge evangelische Christinnen und Christen sind heute die Möglichkeiten zur persönlichen Begegnung mit orthodoxen Christinnen und Christen, sei es in Deutschland oder im Ausland, viel zahlreicher und niederschwelliger als noch vor wenigen Jahren. Wir nehmen wahr, dass schon angehende Theologiestudierende häufig über eine profunde Erfahrung mit Orthodoxen verfügen und sich aus eigener Anschauung ihr Urteil über die andere Konfession bilden.

Zum anderen sind in den letzten Jahren an evangelisch-theologischen Fakultäten in Deutschland ostkirchenkundliche Lehrstühle nicht wieder besetzt worden, umgewidmet oder zusammengelegt worden. Die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Theologiestudiums vertiefte theoretische Kenntnisse über die Orthodoxie anzueigenen, besteht nur noch an wenigen Universitäten. Solche Kenntnisse zu erwerben, wird angesichts der oben beschriebenen Entwicklung jedoch eher wichtiger. Von daher gewinnen regional übergreifende Tagungen und Fortbildungen zu ostkirchenkundlichen Themen, wie sie das Junge Forum Orthodoxie anbietet, zunehmend an Bedeutung.

Das Junge Forum Orthodoxie wendet sich damit dezidiert an Interessierte aus dem evangelischen Bereich. Es ist eine Plattform zur Weiterbildung und Vernetzung. Freilich ist es unerlässlich, über die Orthodoxie auch in der lebendigen Begegnung mit der Orthodoxie zu lernen. Darum werden zu den Tagungen auch junge Theologinnen und Theologen aus orthodoxen Kirchen eingeladen.

Das Junge Forum Orthodoxie der EKD tagt in Verbindung mit dem Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes (Bensheim), gefördert von der Stiftung Bekennen und Versöhnen des Evangelischen Bundes.

Die nächste Tagung findet vom 19.-21. Juli 2024 in Neuendettelsau zum Thema “Kunst in der Orthodoxie – Die Ikonen” statt. Das Programm finden Sie hier.

ModeratorInnen des JuFo:

Franka Böhm

Elise Ebinger

Mareike Meyer

Simeon Rein

Ansprechpartnerin

Pfrin. Dr. Dagmar Heller
Wissenschaftliche Referentin für Orthodoxie und Leitung

Telefon

06251.8433.19