Zum 50. Jubiläum der evangelischen Kirchengemeinschaft in Europa, der sogenannten Leuenberger Konkordie, trafen sich auf Einladung des Evangelischen Bundes am vergangenen Wochenende in Ulm ökumenisch Interessierte, um die gegenwärtige Lage der Ökumene zu diskutieren. Zur Debatte stand dabei auch die Frage, wie und ob sich Kirchen gegenseitig als Kirchen anerkennen. Dr. h.c. Christian Schad, Präsident des Evangelischen Bundes und Kirchenpräsident i.R., sprach im Anschluss von gegenseitigen „konfessionellen Annäherungen“.
Unter der Überschrift „Vielfalt denken“ wurden theologische Impulse zur Leuenberger Konkordie und dem Stand gegenwärtiger Kirchengemeinschaft vorgetragen und diskutiert. Eingeladen waren dazu u.a. Bischof Dr. Bertram Meier, katholischer Vorsitzender der Dialoggruppe zwischen römisch-katholischer Kirche und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), und der evangelische Theologe, Prof. Dr. Ulrich Körtner.
Bischof Meier trug Überlegungen zu Kirchengemeinschaft aus katholischer Perspektive vor. Auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils zielte er auf eine „Logik der ökumenischen Gradualität“, in der unterschiedliche Gemeinschafts- und Verwandtschaftsverhältnisse zwischen der römisch-katholischen Kirche und anderen Kirchen aussagbar sind.
Prof. Dr. Jonathan Reinert von der Theologischen Hochschule Reutlingen respondierte aus evangelischer Perspektive auf Bischof Meier. Reinert insistierte auf dessen Aussage, die Kirche vom Wirken des Heiligen Geistes her zu denken. Seine Frage, ob damit eine Perspektivänderung einhergehen müsste, der zufolge die Gestalt anderer Kirchen nicht länger an der Gestalt der eigenen Institution gemessen werden dürfe, bekräftigte Bischof Meier aus katholischer Perspektive und spitzte die Diskussion zu: Eine Lehre der Kirche vom Wirken des Heiligen Geistes aus betrachtet müsse bedenken, dass keine Kirche, auch nicht die römisch-katholische Kirche, ein „Monopol auf den Heiligen Geist“ habe.
Im anschließenden Vortrag „Vielfalt erleben, erleiden und denken“ machte sich der Wiener Theologe Prof. Dr. Ulrich Körtner für eine realistische Ökumene der Profile stark. Diese sollte allerdings auf der Basis einer Ökumene des wechselseitigen konfessionellen Respekts weiterentwickelt werden. Auch die römisch-katholische Kirche sollte deshalb andere Kirchen als Kirche anerkennen. Pfarrerin Deborah Drensek aus der Gruppe der Young Theologians der GEKE wiederum griff in Ihrer Response Gedanken Körtners auf und konkretisierte die Bedeutung der gelebten Kirchengemeinschaft.
In Anbetracht des öffentlich wahrgenommenen Stillstandes in der Ökumene gehen von den Gesprächen und Diskussionen positive Signale aus. Nach Einschätzung Christian Schads hätten sich in der Frage der Kirchlichkeit sowohl Bischof Meier als auch Prof. Körtner durch theologische Konkretisierungen und Relativierung der eigenen konfessionellen Perspektive einander angenähert. Meier habe, so Schad, „im Anschluss an das II. Vaticanum das sakramentale Verständnis der Kirche evangelisch geöffnet, indem er den Christusbezug der Kirche als zentral“ herausgestellt habe. „Nicht die Kirche ist das Licht der Welt, sondern Christus.“ Gleichsam habe Körtner, so Schad, die Formel der Leuenberger Konkordie „Einheit in Vielfalt“ katholisch geöffnet, indem er insbesondere den Begriff „Vielfalt“ auf ein konstruktives Moment beschränkt habe. „Vielfalt ist nur dann konstruktiv, wenn sie sich auf der einheitlichen Basis des gemeinsamen Glaubens an die allen Menschen und allen Kirchen zuvorkommende Gnade Christi entfaltet.“ Dieser Glaube als ökumenisches Einheitsband erlaube auch bleibende Unterschiede.
Ökumenische Gespräche und konfessionskundliche Sensibilisierung gehören zum Hauptanliegen des Evangelischen Bundes und des von ihm getragenen Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim. So stehen die Gespräche zwischen Vertretern der katholischen und evangelischen Kirchen im Kontext einer langen Tradition. Auch die Vorträge im Rahmen der diesjährigen Generalversammlung des Evangelischen Bundes anlässlich des 50. Jubiläums der Leuenberger Konkordie verstehen sich so als Fortführung vergangener Formate: Erst im März war Kardinal Koch, Präfekt des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen in Bensheim zu Besuch und in der kommenden Woche wird eine Delegation des Bensheimer Instituts zu ökumenischen Gesprächen im Vatikan zu Gast sein. Zur diesjährigen Generalversammlung trafen sich etwa 80 Gäste aus Deutschland, Polen, Tschechien und Österreich in Ulm. Unter ihnen u.a. Bischof Bertram Meier (Augsburg), Prof. Dr. Ulrich Körtner (Wien), der Generalsekretär der GEKE, Dr. Mario Fischer (Wien).