Jahrhundertelang galt Martin Luther in den Universitäten und an der römischen Kurie als Erzketzer. Das hat sich mittlerweile geändert. Heute gibt es in Rom nicht nur eine „Piazza Martino Lutero“, sondern er scheint darüber hinaus ein wichtiger Theologe im Vatikan geworden zu sein. Nicht nur, dass kürzlich ein Beichtvater von Sankt Peter, in den Pausen lese er in Luthers Katechismus, sondern ein Hinweis darauf ist auch, dass vom 26. Februar bis zum 01. März 2017 in Rom an der von Jesuiten geleiteten päpstlichen Universität Gregoriana eine ökumenische Konferenz über „Martin Luther und die Sakramente“ stattfand, bei der mehrere römische Kurienkardinäle als aktive und passive Teilnehmer zugegen waren. Der römischen Tagung, zu der mit der Päpstlichen Universität Gregoriana, dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und dem Johann-Adam-Möhler-Institut drei katholische Institutionen eingeladen hatten, waren aus aller Welt zahlreiche lutherische und katholische Kirchenvertreter und Theologen gefolgt. Für das Konfessionskundliche Institut Bensheim nahm Catholica-Referent Martin Bräuer an der Tagung teil.
Von je zwei Referenten – einem katholischen und einem evangelisch-lutherischen – wurden die Themen Taufe, Eucharistie/Abendmahl, Beichte und Ordo/Amt behandelt und anschließend im Plenum diskutiert. Vor den inhaltlichen Arbeiten wurde eine Laudes gebetet, am 1. März der den Beginn der Fastenzeit markierte, feierte Kardinal Gerhard Ludwig Müller eine Messe. Anschließend trafen sich die Kongressteilnehmer in Workshops zu je einem der vier Hauptthemen.
Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch sagte in seinem Eröffnungsvortrag, die Theologie entdecke heute den „katholischen Luther” wieder. Während der protestantische Theologe Adolf von Harnack (1851-1930) noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts überzeugt gewesen sei, mit der Reformation Luthers habe „die Neuzeit ihren Anfang genommen”, so werde heute erkennbar, wie sehr das Denken des Reformators noch im Spätmittelalter verwurzelt gewesen sei, so Koch.
Auch lutherische Referenten betonten die Kontinuität Luthers zum Spätmittelalter. Der lutherische Bischof von Kuopio in Finnland, Jari Jolkkonen betonte, dass Luther in der Abendmahlsfrage ein Verteidiger eines „traditionellen sakramentalen Realismus” gewesen sei. Auch wenn er die katholische Redeweise von der „Transsubstantiation” abgelehnt habe, sei er überzeugt gewesen, dass Leib und Blut Christi „wahrhaft und substanziell” in der Eucharistie gegenwärtig seien. Diese Auffassung habe Luther auch gegen den Schweizer Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) verteidigt, so Jolkkonen. Aus der Gegenwart Christi im Sakrament habe Luther auch praktische Konsequenzen gezogen. Das Knien im Gottesdienst, Weihrauch und Gesten der Anbetung seien für Luther selbstverständlich gewesen. Auch habe der Reformator empfohlen, die Kommunion kniend und in den Mund zu empfangen, wie es in Finnland bis heute üblich sei. In den Aussagen Jolkkonnens wurde auch ein Gefälle von den skandinavischen lutherischen Kirchen etwa zu den mitteleuropäischen Kirchen deutlich.
Prof. Dr. Theodor Dieter, Direktor der Straßburger Instituts für Ökumenische Forschung der als lutherischer Referent Luthers Verständnis der Beichte vortrug, erinnerte daran, dass Martin Luther auch die Einzelbeichte nicht abgeschafft habe. Luther sei zwar überzeugt gewesen, dass Gottes Vergebung nicht vom Amt des Priesters abhängig sei, er habe aber trotzdem die Einzelbeichte geschätzt und empfohlen, da sie den Beichtenden die Erfahrung der Befreiung und der Freude des Evangeliums vermittele.
Das Neue in Luthers Sakramentenverständnis betonten dagegen andere Referenten wie der im italienischen Brescia lehrende katholische Theologe Angelo Maffeis, der gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Tobler aus Sibiu das Thema Taufe behandelte. Die mittelalterliche Theologie der Scholastik habe gelehrt: Es reicht, wenn der Empfänger dem Sakrament kein inneres Hindernis („obex”) entgegensetze, damit es zustande komme. Unabhängig vom individuellen Glauben wohne den Sakramenten eine besondere Kraft („virtus”) inne, so seien die Scholastiker überzeugt gewesen. Darin habe Luther die Gefahr eines „sakramentalen Automatismus” gesehen – und stattdessen betont, dass der Glaube entscheidend sei, damit die Sakramente ihre Wirkung entfalten können. Für Luther sei nicht das Sakrament an sich heilswirksam, sondern der Glaube an das Sakrament. Diese Integration des Glaubens in den Sakramentenbegriff bezeichnete Maffeis als „absolute Neuerung”.
Die Heidelberger Professorin Friederike Nüssel referierte über den Ordo bzw. das Amt und stellte fest, dass Luther mit seiner Lehre vom „allgemeinen Priestertum aller Getauften“ keineswegs gemeint habe, dass auch Laien Sakramente spenden könnten. Das sei an eine Ordination gebunden, die freilich weniger auf Amtsträgern beruhe als auf direkte Einsetzung Jesu Christi. Dem stimmte Prof. Etienne Emmanuel Vetö, von der Gregoriana zu.
Bevor eine Diskussion aller Referenten die Tagung beendete, hatte der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller das Wort. Er betonte, wie viele Gemeinsamkeiten bereits bestünden – und wie wichtig ein gemeinsames Zeugnis der christlichen Konfessionen in der Welt von heute sei. Müller forderte die Teilnehmer der Konferenz auf, sich bloß nicht mit einer „versöhnten Verschiedenheit“ zufriedenzugeben. Ziel müsse es sein, die Versöhnung der Gegensätze „in Christo Communio Sanctorum“ für alle Christen zu finden – Priester wie Laien.
Im Rückgriff auf Dietrich Bonhoeffer, über den der Kardinal bei Karl Kardinal Lehmann promoviert hatte sagte Müller: „Unser Glauben darf nicht das Opfer von Indifferenz und Desinteresse an der Wahrheit werden.“ Man dürfe es sich nicht leichtmachen. Aber wäre es nicht wunderbar, wenn „die Christenheit den reichen Tisch der Wahrheit decken“ könnte, um gemeinsam daran Platz zu nehmen? Lange Zeit seien katholische und evangelische Auffassungen „ziemlich inkompatibel“ erschienen, dabei müssten sie das nach der Vereinbarung über die Rechtfertigungslehre „absolut nicht sein“ befand der Kardinal.
So endeckten Katholiken und Lutheraner in der Person und im Denken Martin Luthers Unterschiede und Übereinstimmungen wieder. Wie geht es weiter? U. a. Kardinal Koch regte erneut eine gemeinsame „Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt“ an. Vielleicht leisten die finnischen Lutheraner dazu eine Vorarbeit. Denn der Konferenz vorgeschaltet war eine Kommissionssitzung von finnischen Lutheranern und Katholiken, die gemeinsam an einer solchen Erklärung arbeiten.
Martin Bräuer