In einem zweiten gemeinsamen Wort der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zum Thema Migration wurde bereits darauf hingewiesen, dass Zuwanderung, wie sie in Deutschland in den letzten 50 Jahren erlebt wird, zu Pluralisierung und Diversifizierung in der Gesellschaft führt. Daher sind Integration und Solidarität gefragt, um soziale Teilhabe und ein Zugehörigkeitsgefühl zu ermöglichen. Daher standen im Zentrum der 66. Europäischen Tagung für Konfessionskunde Fragen nach der Relevanz der Migrationsprozesse für die Ökumene und die Konfessionskunde. Die Tagung fand online am 25. und 26. Februar 2022 unter dem Titel „Migration. Konfessionelle und interkulturelle Dynamiken“ statt und wurde vom Konfessionskundlichen Institut und dessen wissenschaftlichem Beirat organisiert sich
Prof. Dr. Gert Pickel aus Leipzig gab in seinem einleitenden Vortrag einen Überblick über die aktuelle religiöse Landschaft und ihre zunehmende Pluralität und wagte Ausblicke, wie sich durch die weiteren Migrationsbewegungen die religiöse Landschaft entwickeln könnte.
Eine Reihe von verschiedenen konfessionell spezifischen Perspektiven auf Migration begann mit einer orthodoxen Sicht durch PD Dr. Ciprian Burlacioiu aus München Er hob hervor, dass Migration eine Veränderung der religiösen Identität hervorbringt, die durch notwendige Anpassung an die Gegebenheiten in der neuen Umgebung stattfindet.Die Entwicklung in den orientalischen Kirchen stellte Dr. Claudia Rammelt von der Universität Bochum dar und machte deutlich, welche Bereicherung diese für die ökumenische Landschaft im Westen darstellen.
Prof. Dr. Michael Kißkalt von der theologischen Hochschule Elstal bei Berlin ging auf Migration und Mission aus freikirchlicher Sicht ein. Dabei berichtete er von internationalen Gemeinden, welche sich im Bund Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden gebildet haben, die es mittlerweile in der zweiten Generation gebe und entsprechend ihrer Gewichtung auch in den Leitungsgremien repräsentiert sind.
Dass bereits in den 1960er Jahren Karl Barth über die mögliche Bedeutung von christlichen Migrationskirchen aus dem globalen Süden reflektiert hatte, rief Prof. Dr. Werner Kahl aus Frankfurt aus evangelisch landeskirchlicher Sicht in Erinnerung mit dem Zitat: „Ob uns wohl unsere Mitchristen aus den jungen Kirchen von Asien und Afrika, die ja in dieser Sache noch von frischerer Anschauung herkommen, hier eines Tages zu Hilfe kommen könnten? Hoffen wir nur, dass sie sich unterdessen von unserem Weltbild nicht allzusehr imponieren und dann ihrerseits von der Augenkrankheit, an der wir in dieser Hinsicht leiden, anstecken lassen!” Er betonte, dass es vor allem wichtig sei, die Ebene der Gemeinde zu stärken und Räume für den vertrauensvollen Austausch zu schaffen, in denen die Pluralität als Bereicherung erfahren werden könne.
Die Wiener Pastoraltheologin Prof. Dr. Regina Polak, welche als Beraterin der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz wesentlich an der Entstehung des gemeinsamen Wortes der EKD und DBK zu Migration im Jahr 2021 beteiligt war, machte auf die theologischen Gründe für die Beschäftigung mit diesem Thema aufmerksam In der Bibel sind viele Texte durch die Vielfalt der Erfahrung von Migration entstanden. Migration als Motiv und Lernort des Glaubens sei auch ein locus theologicus. Diese Fragen haben in den letzten Jahren unter Papst Franziskus an Bedeutung zugenommen, der sich sehr häufig zu diesen Fragen äußere. Es sei u.a. die Frage zu stellen, wie man die Lernprozesse von Migration auch strukturell fördern könne und wie Widerstand gegen Migranten zu bearbeiten sei.
Prof. Dr. Moritz Fischer von der Fachhochschule für interkulturelle Theologie in Hermannsburg brachte die interkulturelle Perspektive mit ins Gespräch und wies u.a. auf den Ansatz einer „Theologie der Migration“ der philippinischen Theologin Gemma Tulud Cruz hin, die deutlich macht, dass von Migrationstheologie nur reden könne, wer sich in die Situation von Migranten versetze und deren Lebenswirklichkeit teile.
Das Thema „Migration aus religionssoziologischer Sicht“ beleuchtete die Hamburger Religionssoziologin Dr. Anna Körs. Sie wies darauf hin, dass die religiöse Zugehörigkeit in unserem Land sich stark verändert habe und immer noch verändere. Dies habe zu verschiedenen interreligiösen Dialogformaten geführt.
In der Abschlussdiskussion wurde festgehalten, dass Konfessionskunde in Zukunft stärker auf die wachsende Pluralisierung und Differenzierung im Bereich des Christentums eingehen muss und dazu auch interkulturelle Theologie mit einbeziehen wird. Themen, die quer durch alle Konfessionen sich stellen, werden eine größere Rolle spielen, wie auch der konfessionskundliche Blick auf den interreligiösen Dialog. Die Beiträge der Tagung werden in der Ausgabe des MDKI 3/2022 veröffentlicht und nachzulesen sein, die im Sommer 2022 erscheint.