Der Dialog zwischen Christentum und Islam ist inzwischen eine Tatsache, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen abläuft. Auch hier in Deutschland gibt es verschiedene Gelegenheiten, bei denen sich Vertreter der christlichen Kirchen zu Gesprächen treffen oder aber auf Gemeindeebene Christen und Muslime sich gegenseitig einladen. In der öffentlichen Wahrnehmung finden solche Begegnungen vor allem zwischen den so genannten großen Kirchen (evangelisch und katholisch) und dem Islam statt. Inzwischen ist aber die drittgrößte christliche Konfession in Deutschland die Orthodoxie, deren Gemeindeglieder in vielen Fällen aus Ländern kommen, die eine ganz andere Geschichte und ganz andere Erfahrungen mit dem Islam haben, als dies bei evangelischen oder katholischen Christen hierzulande der Fall ist.

Um mehr darüber zu erfahren, wie in den orthodoxen Kirchen der Islam wahrgenommen wird und wie mit ihm umgegangen wird, hat das Orthodoxiereferat des Konfessionskundlichen Instituts in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Karl Pinggéra von der Ev. Fakultät der Universität Marburg eine Tagung der Evangelischen Akademie Hofgeismar zum Thema „Orthodoxe Christentum und der Islam“ konzipiert und veranstaltet. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte die Tagung nicht vor Ort stattfinden und wurde deshalb mit verkürztem Programm als Online-Tagung am 12. Juni 2020 unter der Moderation des Akademiedirektors Dr. Karl Waldeck durchgeführt.

Die beiden Referenten waren Mor Polycarpus Augin Aydin, der syrisch-orthodoxe Erzbischof der Niederlande und der rumänisch-orthodoxe Theologe Dr. Ionuţ Băncilă, Habilitand am Lehrstuhl für Orthodoxes Christentum an der Universität Erfurt, die jeweils die Erfahrung und das Nachdenken ihrer Kirchen darstellten. Mor Polycarpus machte deutlich, dass das Verhältnis zwischen des syrisch-orthodoxen Kirche und dem Islam im Laufe der Geschichte verschiedene Phasen durchlaufen hat von einer geringschätzigen Haltung der Christen gegenüber dem Islam bis zur Unterjochung von Christen durch die osmanischen Herrscher bis hin zu einer friedlichen Koexistenz. Die Haltung der syrisch-orthodoxen Christen heute sei noch stark geprägt durch die Erfahrung des Genozids 1915 und einer damit verbundenen emotionalen Spannung zwischen Angehörigen beider Religionen. Auf diesem Hintergrund plädierte er für einen Dialog zwischen Christentum und Islam, der dem gegenseitigen Verständnis dienen sollte, aber auch einem ‚healing of memories‘, einer Heilung der Erinnerungen. Dr. Ionuţ Băncilă beschrieb drei rumänische Autoren, aus dem 15., dem 17./18. und dem 20. Jahrhundert, die einen positiven Zugang zum Islam eröffneten. Bei allen sei letztlich in irgendeiner Weise eine Vorstellung zu finden, wonach Islam und Christentum gewissermaßen parallel auf dem Weg ins himmlische Jerusalem seien.

Dazu gab es eine Reihe von weiterführenden Fragen, die die Teilnehmer*innen schriftlich oder mündlich an die Referenten stellen konnten.

Das online-Format dieser Tagung war für das KI eine Premiere, die mit 49 angemeldeten Teilnehmer*innen als Erfolg zu werten ist und viele positive Rückmeldungen erhalten hat. Dadurch wurde manchem/r die Teilnahme ermöglicht, der/die nicht nach Hofgeismar hätte kommen können.