Um die Pfingstbewegung ging es in der Februarsitzung der vom Konfessionskundlichen Institut Bensheim und dem Christian-Jensen-Kolleg (CJK) der Nordkirche federführend veranstalteten online-Langzeitfortbildung „Ökumene-Akademie im Norden“ am 8.2.2022. Ca. 30 ökumenisch Interessierte waren zusammengekommen, um mehr über diesen spannenden Zweig des weltweiten Christentums zu erfahren und darüber zu diskutieren. Unter der Leitung von Pastorin Nora Steen (CJK) gestalteten zwei norddeutsche pfingstkirchliche Pastoren sowie weitere Mitarbeiter:innen den informativen Abend, bei dem auch der geistliche Rahmen nicht fehlte.

Zunächst führte Pastor Gideon Häußermann in Zahlen, Geschichte und Zusammenhänge der pfingstlichen und charismatischen Bewegungen ein. Häußermann ist neben seiner Gemeindetätigkeit in der pfingstlichen Leuchtturmkirche Kiel, die zum Bund der Gemeinde Gottes KdöR (Church of God, Cleveland, Tennessee) gehört, auch wissenschaftlicher Angestellter der Theologischen Fakultät der Universität Kiel. Er machte darauf aufmerksam, dass von den ca. 50% Christ:innen in Deutschland zwar nur 0,6 % einer pfingstlichen oder charismatischen Kirche angehören, weltweit gesehen diese Kirchen aber bereits 25% der Christ:innen ausmachen. Pfingstlich-charismatische Kirchen sind damit global betrachtet nach der römisch-katholischen Kirche die zweitgrößte Gruppe im Christentum – weit vor dem Luthertum. Wenn man solche Zahlen hört, wird man an Bilder sog. „mega churches“ der USA und des globalen Südens erinnert. Diese vermögen in vielen afrikanischen und südamerikanischen Ländern täglich ganze Stadien mit Christ:innen zu füllen, die Heilungs- und Geisterfahrungen machen wollen. In Deutschland dagegen ist angesichts schwindender Mitgliederzahlen der meisten Kirchen seit einigen Jahren eine kontrovers geführte Diskussion um den Umgang mit christlichem Gemeingut wie dem Sonntagsgottesdienst in Deutschland entbrannt …

Der Zuwachs der Mitgliederzahlen in den pfingstlichen und charismatischen Bewegungen ist in vielen Ländern rasant. Dabei ist der Plural „Bewegungen“ ist wichtig: Häußermann zeigte in einem kurzen geschichtlichen Abriss, dass es große Unterschiede zwischen klassischen Pfingstkirchen, welche sich am Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA gegründet und von dort aus rasch ausgebreitet haben, und den neueren charismatischen und neocharismatischen Bewegungen gibt. Der Referent stellte die Entwicklung anhand des herkömmlichen Drei-Wellen-Modells vor (klassische Pfingstkirchen, charismatische Kirchen, neocharismatische Bewegungen). Schließlich wurde in Häußermanns Vortrag deutlich, dass die pfingstlichen und charismatischen Bewegungen in Deutschland auf eine lange Tradition und eine dynamische Entwicklung zurückblicken, und dies nicht nur im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP).

Einen exemplarischen Einblick in eine Pfingstgemeinde gab sodann Pastor Matthias C. Wolff von der Elimkirche Hamburg im BFP. Das Selbstverständnis seiner Pfingstgemeinde drückt sich darin aus, dass ihre Arbeit unter den drei folgenden Stichworten geschieht: „Gott begegnen“ (ein Anspruch direkter Erfahrung mit dem Handeln Gottes), „Leben teilen“ (die Organisation der gemeinsamen Nachfolge und Jüngerschaft in Kleingruppen und im Gottesdienst) und „Menschen dienen“ (ein missionarischer Anspruch einer Gemeindearbeit für und nicht nur in Hamburg). Nach dem Motto „ein Vogel braucht zwei Flügel zum Fliegen“ – den Gottesdienst und die Arbeit in Kleingruppen – stellte er vor, dass eine Sprache der Gegenwart und moderne mediale Formen und Musik den Gottesdienst prägen müssen, um den Anspruch der Ausbreitung des Evangeliums Rechnung zu tragen. Aber eine intensive Arbeit in Kleingruppen, welche v.a. als Kinder-, Familien-, und Jugendarbeit gestaltet werden, müsse sich dem anschließen. – Nicht selbstverständlich ist die auf Basis der Lausanner Erklärung erfolgende ökumenische Öffnung dieser Pfingstgemeinde in den letzten fünfzig Jahren.

Anschließend wurden verschiedene weiterführende Fragestellungen, die Pfarrer Dr. Dirk Spornhauer (Beratender Mitarbeiter des Konfessionskundlichen Instituts für Charismatische Bewegungen und Pfingstbewegungen) entwickelt hatte, in Kleingruppen diskutiert: Der spannungsvolle Zusammenhang zwischen den dynamischen selbständigen Ortsgemeinden und dem als Bund konstruierten Dachverband des BFP; der gesellschaftliche Kontext pfingstkirchlicher Mission; die Beeinflussung von Gottesdiensten anderer Traditionen durch pfingstlich-charismatische Gottesdienstvollzüge; die etwaige Bedeutung von Heilungen, Sprachenrede und anderen pfingstlich-charismatischen Spezifika für andere Konfessionen.

Es war eine insgesamt sehr gelungene und spannende Veranstaltung. Dank gilt den Organisator:innen und Teilnehmer:innen für ihren respektvollen Umgang mit den Traditionen ihrer christlichen Gesprächspartner. Konfessionskundlich könnte man hinsichtlich der geschilderten historischen Entwicklung der Pfingstbewegung(en) noch anfügen, dass das Konstrukt der drei Wellen der Ausbreitung (s.o.) mittlerweile von einer Reihe von Wissenschaftlern zugunsten einer genaueren diachronen und synchronen Untersuchung der einzelnen Gemeinden im Kontext einer Netzwerktheorie aufgegeben worden ist. (Vgl. z.B. Michael Bergunder, „Der ‚Cultural Turn‘ und die Erforschung der weltweiten Pfingstbewegung, EvTh 69,4 [2009], 245-269; Giovanni Maltese, „Pentekostale Theologie zwischen Triumphalismus und ökumenischen Asymmetrien“, IKTh 45,4 [2019], 408-436.)

Leider blieb nicht genügend Zeit, um alle Fragen, die sich im angeregten Austausch zum Schluss entwickelt hatten, zu beantworten. Dies war in 90 Minuten nicht machbar. Gerade dies erweckt aber Vorfreude auf die Fortsetzung dieses Fortbildungs- und Diskussionsformats. Die nächste Seminarsitzung findet am 08.03.2022 zur Reformierten Kirche und zur Remonstrantischen Gemeinschaft statt. Anmeldungen sind weiterhin möglich unter 04671-91120 oder info@christianjensenkolleg.de.

Patrick Haase, Praktikant im KI Bensheim

Ansprechpartner

Pfr. Dr. Dirk Spornhauer
Beratender Mitarbeiter Pfingst- und charismatische Bewegungen

Pfr. Dr. Lothar Triebel
Referat Freikirchen

Telefon

06251.8433.22