Die Frage, woher die Kirche ihre Erkenntnis von Gott und der Welt gewinnt, behandelt autoritativ die Dogmatische Konstitution „Dei Verbum“ (DV) des 2. Vatikanischen Konzils von 1965. Bezugspunkt von Glaube und Leben ist laut dem Konzil die persönliche Begegnung mit Gott, die durch die Kirche vermittelt wird. Die Kirche bezeugt und vermittelt die Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Die Bibel bewahrt als „Heilige Schrift“ die Offenbarung Gottes auf und steht am Anfang des Überlieferungsprozesses in der Tradition der Kirche. Die Offenbarung bringt den Menschen also einerseits direkt in Kontakt mit Gott, andererseits aber nur durch die Vermittlung der Kirche. Eine Begegnung mit Gott kann nicht dauerhaft unter Absehung der Kirche geschehen, da sich in der Kirche und ihren Handlungen Gott vergegenwärtigt.
Die Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes
Die Offenbarung Gottes wird verstanden als Selbstmitteilung Gottes. Er offenbart sich als die Liebe, die Menschen zur Gemeinschaft mit sich einlädt (DV 2). Mit der Menschwerdung dieser Liebe in Jesus Christus Mensch erreicht die göttliche Offenbarung ihren Höhepunkt. Christus ist deshalb nicht nur ein Prophet, sondern zugleich Gott selbst und wahrer Mensch und aufgrund dessen der einzige und entscheidende Mittler zwischen Gott und den Menschen. Die Kirche bezieht sich aus diesem Grund immer auf Christus zurück und bleibt auf ihn angewiesen. In der Kraft des Heiligen Geistes begegnet Christus der Kirche immer wieder neu und lässt sich in ihrer Gemeinschaft definitiv von Menschen finden. Weil Christus als Ereignis der Menschwerdung Gottes nicht überboten werden kann, ist keine neue Offenbarung Gottes zu erwarten (DV 4).
Die Antwort der Kirche
Auf die Offenbarung Gottes in Christus antwortet die Kirche als Nachfolgerin der Jünger Jesu mit dem Glauben. Gott selbst wirkt dabei den Glauben der Menschen, durch den sie Gott erst in seiner Selbstoffenbarung letztgültig erkennen können, indem er den freien Willen des Menschen auf sich selbst hin anstößt. Der Glaube der Kirche ist dem Geschehen der Offenbarung Gottes daher zwar nachgeordnet, gehört aber untrennbar als Wirkung der Selbstmitteilung Gottes zu dieser hinzu (DV 5).
Weil die Kirche demnach eine wichtige Rolle im Prozess der Offenbarung spielt, ist ihre Weitergabe derselben eine zentrale Frage. Sie vermittelt die göttliche Selbstmitteilung in ihre jeweilige Gegenwart. Dabei steht sie auf dem Fundament der Apostel. Die Zeugen der Offenbarung in Christus werden zu persönlichen Mittlern des einzigen Mittlers Christus und ihr Zeugnis wird zur Grundlage des christlichen Glaubens. Sie geben in Wort und Tat die Offenbarung weiter und predigen an Christi Statt das Evangelium Gottes in aller Welt. Durch den Heiligen Geist lernen sie und ihre Nachfolger die Offenbarung immer tiefer kennen und legen davon in ihren Schriften Zeugnis ab (DV 7).
Die Offenbarung Gottes ereignet sich demnach durch die Vermittlung der Kirche persönlich für jeden einzelnen Menschen in der Begegnung mit Christus immer wieder neu. Allerdings ist sie qualitativ durch die Inkarnation des göttlichen Wortes abgeschlossen und unüberbietbar. Als Quellen, aus denen die Offenbarung theologisch erschlossen werden kann, dienen der Kirche in erster Linie die Heilige Schrift als das geschriebene Wort Gottes und die Überlieferung der kirchlichen Traditionen. Dazu gehört als konkreter Ort der Wahrheitsfindung die Auslegungstätigkeit des kirchlichen Lehramtes, dem der Dienst am Wort Gottes aufgetragen ist (DV 10). Insgesamt lässt sich demnach sagen, dass das Wort Gottes der Kirche zwar in verschiedenen Ausprägungen vorgegeben ist (geschrieben, überliefert, gelehrt), inhaltlich aber durchgehend die Richtschnur kirchlichen Lebens darstellt.