Aspekte evangelischen Eheverständnisses
Die Ehe unter Gottes Verheißung als Ort der Bewährung des Glaubens
Nach reformatorischem Verständnis gehören Eheschließung und Ehe in das weltliche Handeln Gottes. Auch die weltliche Existenz der Menschen mit ihren Ordnungen und erhaltenden Hand Gottes. Die Ehe gehört insofern zur Schöpfungsordnung, nicht zur Erlösungsordnung. Sie ist kein Gnadenmittel. Von der Versöhnung her fällt aber ein Hoffnungslicht auf die noch immer der Erlösung her werden die Orientierungen im Vorletzten, zu deren schönsten Gestalten die auf Dauer und Verlässlichkeit ausgerichtete, von Vertrauen geprägte Liebe zweier Partner zählt, konstituiert und korrigiert.
Trotz menschlicher Grenzen spiegelt sich in der Ehe, vor allem wenn sie als intensiv, stetig, fruchtbar und wechselseitige Freiheit schenkend gelebt wird, der Glanz des von Gott verheißenen Heils. Dass dieses Ideal vielleicht gerade angesichts der erlebten Selbstüberforderung vielfach scheitert, kann einer solchen Vision guten Lebens nichts anhaben, sonst würden es nicht so viele immer wieder anstreben. Zusammenfassend kann mit der Trauagende der Union Evangelischer Kirchen von 2006 gesagt werden: „Christliches Verständnis wertet die Ehe als eine personale Gemeinschaft einer Frau und eines Mannes. Sie gründet in der Liebe und im Vertrauen, die die Eheleute einander entgegenbringen. Als ganzheitliche Gemeinschaft zielt sie auf Treue und Dauerhaftigkeit des Zusammenlebens in gegenseitiger Verantwortung. Die so verstandene eheliche Gemeinschaft schließt es aus, die Ehe als zeitlich begrenzten Vertrag anzusehen. Sie wird durch die freie Entscheidung der Partner füreinander begründet; rechtliche und institutionelle Ordnungen dienen zu ihrem Schutz nach innen und außen … Die Ehe ist als ein göttlich Werk und Gebot ‚gleichwohl ein weltlich Ding’ ohne Heilswirksamkeit, freilich ein zentraler Ort für die Bewährung des Glaubens in Liebe und Hoffnung.
Scheitern und Wiederverheiratung
Die evangelischen Kirchen stellen sich der Tatsache, dass Menschen an der Aufgabe, in ihrer Ehe der unverbrüchlichen Treue Gottes in Christus zu entsprechen, scheitern können. Das begründet indessen theologisch kein Recht auf Scheidung. Deshalb betrachtet die evangelische Kirche die Scheidungsmöglichkeit im staatlichen Eherecht nicht als eine bedenkliche Aufweichung, sondern als einen Dienst an der Ehe. Die Bejahung des Scheidungsrechtes basiert auf dem Wissen von der Macht der Sünde und der Endlichkeit menschlichen Vermögens. Wer die Unauflöslichkeit der Ehe mit rechtlichen Mitteln in jedem Fall durchsetzen will, überschätzt die Möglichkeiten des Gesetzes.
Die Trauung Geschiedener wird in den evangelischen Kirchen „grundsätzlich als Ausnahme“ betrachtet. Da sich dem an seiner Ehe gescheiterten Menschen durch Buße und Vergebung der Weg zu einem neuen Anfang öffnet, kann die Kirche die Trauung Geschiedener nicht grundsätzlich verweigern, wie immer sie auch die seelsorgerliche Behandlung im einzelnen Fall regelt.
Die evangelischen Kirchen kennen kein dem kanonischen Recht vergleichbares Eherecht. Das staatliche Recht gilt als eine gute Gabe Gottes, insofern es die im menschlichen Leben immer wieder auftretenden Konflikte anhand der Kriterien der äußeren Freiheitssicherung wie der Friedenswahrung regeln hilft. Das Recht ist mit dieser Funktion immer in einen geschichtlichen und kulturellen Kontext eingebunden, muss sich aber daran messen lassen, dass es den christlichen Wertüberzeugungen Raum lässt. Das positive Recht ist daran zu prüfen, ob es dauerhaft die durch ihren Öffentlichkeitscharakter dokumentierte wechselseitige Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit der Ehepartner stärkt. Gerade zum Schutz der Schwächeren kommt der rechtlichen Absicherung der auf Dauer angelegten Partnerschaft von Mann und Frau eine hohe Bedeutung zu, unabhängig von der weiteren Frage nach dem theologisch und rechtlich verantwortlichen Umgang mit anderen Lebensformen, die den genannten Kriterien auch zu entsprechen suchen. Um des theologisch-ethischen Verständnisses der Ehe willen kann von ihrer rechtlichen Dimension nicht gelassen werden. Wie diese jeweils ausgestaltet wird, ist damit nicht endgültig festgelegt. Entscheidend ist jeweils die unaufgebbare Koppelung von Recht und Liebe (Schutz des Schwächeren). Das inzwischen aufgehobene staatliche Verbot einer kirchlichen Voraustrauung griff zwar in staatskirchenrechtlich nicht unproblematischer Weise in die Freiheit der Religionsausübung ein, es bewahrte aber inhaltlich das wichtige Kriterium der rechtlichen Bindung und Konsequenz von Eheschließungen. Deshalb halten die evangelischen Kirchen weiterhin an der zivilrechtlichen Konsequenz von Eheschließungen fest. Nur so können derzeit die Kriterien der Verlässlichkeit und wechselseitigen Verantwortlichkeit die Ehe, aber auch ein verantwortlicher Umgang mit ihrem Scheitern geregelt werden.
Aspekte des katholischen Eheverständnisses
Die Ehe als Sakrament
Der neutestamentliche Ausgangspunkt für die Zuordnung der Ehe zu den Sakramenten ist ein Text aus dem Epheserbrief 5,32. Dort wird von der Ehe gesagt, sie sei „ein tiefes Mysterium“ und der Verfasser des Briefes fügt hinzu: „Ich beziehe es auf Christus und die Kirche“. Mysterium („Sakrament“) ist danach zunächst die Verbindung von Christus und seiner Kirche. Dieses Mysterium wird in der Ehe sichtbar und wirksam. Die Ehe, die aus der Schöpfungsordnung stammt, gehört in den Lebensraum der Begegnung mit Gott, das heißt, sie wird zu einer „Heilsgröße“, in der die Menschen die Nähe und Hilfe Gottes erfahren.
Die Bezeichnung der Ehe als Sakrament stützt sich also nicht auf ein besonderes Stiftungswort Jesu, sondern auf die Einbeziehung der ehelichen Gemeinschaft der Menschen in die Gemeinschaft mit Christus. Die Erlösung, der Bund Gottes mit den Menschen, wandelt die Ehe zu einem Zeichen, in dem das von Christus geschenkte Heil wie in den anderen Sakramenten sichtbar und wirksam wird. Die Ehe selbst ist eine kirchliche Wirklichkeit. Sie ist Kirche im Kleinen, sie ist „Hauskirche“ (II. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium, Art. 11). Wenn zwei Menschen durch die Taufe vom Geist Gottes ergriffen sind und in der Gemeinschaft mit Christus leben, dann sind sie nicht nur als Einzelpersonen, sondern dann wird auch ihre eheliche Gemeinschaft von der Gemeinschaft mit Christus geprägt.
In dem Verständnis der Ehe als Ausdruck des gelebten Glaubens und als Raum, indem die Ehepartner Gottes Gnade und Beistand erfahren, liegt die Brücke, um die Kritik Luthers am katholischen Eheverständnis richtig einordnen zu können. Denn Luther preist die Ehe als den allgemeinen, den rechten und heiligen Stand der Christen. Er kann die Ehe als göttlichen Stand bezeichnen, weil sie von Gott in der Schöpfungsordnung für alle Menschen gestiftet wurde. Die Bezeichnung „weltlich Ding“ will unterstreichen, dass die ehe älter ist als die durch Christus erwirkte Erlösung, und dass sie in der Sicht Luthers kein Gnadenmittel darstellt. Die Gnade, aus der christliche Eheleute leben, empfangen sie nicht durch die Ehe als solche, sondern durch die Verkündigung des Evangeliums im Wort und in den Sakramenten Taufe und Abendmahl.
Weil die Ehe nach katholischer Auffassung Sakrament ist, stellt sich wie bei den übrigen Sakramenten die Frage, unter welchen Bedingungen sie gültig zustande kommt. Deshalb fragt der katholische Pfarrer beim Traugespräch konfessionsverschiedener Paare auch nach der Taufe, der Bekenntniszugehörigkeit der zukünftigen Kinder und klärt die Form der kirchlichen Trauung ab, da ggf. eine Befreiung von der katholischen Trauform erteilt werden muss.
Unauflöslichkeit und Scheitern der Ehe
Die Ehe ist im Alten Testament ein häufig verwendetes Bild für die unverbrüchliche Treue Gottes zu seinem Volk. Dennoch kennt das Alte Testament eine Scheidungspraxis, die allein dem Mann das Recht zugestand, der Frau den Scheidungsbrief auszustellen. Diese Praxis stellte Jesus in Frage und forderte die Beachtung der Unverbrüchlichkeit der Ehe für beide Ehepartner. Jesus wollte den Anspruch des in der Schöpfung grundgelegten Willens Gottes wieder in Geltung bringen. Dieser Anspruch Jesu stellte zudem im Vergleich mit der üblichen Scheidungspraxis eine neue Sicht und Bedeutung der Rechte der Frau in der damaligen Gesellschaft dar.
Die Texte des Neuen Testamentes zeigen im Blick auf die Praxis der frühen Kirche keinen eindeutigen Befund. Bei Paulus (1 Kor 7,10f; 7,15) wie im Matthäusevangelium (Mt 5,32; 19,9) finden sich Hinweise auf die Möglichkeit der Trennung unter bestimmten Bedingungen. Matthäus hält die Möglichkeit der Trennung bei schwerer sexueller Verfehlung des Partners für denkbar, Paulus sieht sie als erlaubt an, wenn in der Ehe eines Christen mit einem Nicht-Christen der Nicht-Christ die Scheidung fordert und vollzieht. Für Markus (10,2f) und Lukas (16,18) gilt das Verbot der Scheidung ohne Einschränkung.
In der Entwicklung des katholischen Eheverständnisses setzte sich der von Jesus erhobene Anspruch der Unverbrüchlichkeit der Ehe im Eherecht durch. Eine Scheidung wurde grundsätzlich ausgeschlossen, allerdings wurde eine dauernde oder zeitliche Trennung der Ehepartner zugestanden. Neben diesem grundsätzlichen Festhalten an der Unverbrüchlichkeit der Ehe finden sich geschichtliche Belege, die bei Ehebruch oder anderen schwerwiegenden Gründen eine Wiederheirat wegen der Schwäche der Menschen erlaubten. In der Ostkirche hat sich diese Praxis auch im Recht niedergeschlagen, das z. B. bei Ehebruch die Auflösung der Ehe durch den Patriarchen ermöglicht. Eine erneute kirchliche Trauung kann von der kirchlichen Obrigkeit erlaubt werden. In der lateinischen Kirche hat sich ein anderes Rechtsverfahren durchgesetzt: die nachträgliche Prüfung der Gründe, ob eine Ehe möglicherweise von Anfang an nichtig, d.h. ungültig war. Dieses Ringen der Verantwortlichen, Lösungen für konkrete katastrophale Einzelschicksale zu finden, ändert nichts an dem in der Tradition der katholischen Kirche beständig festgehaltenen Zeugnis von der Unauflöslichkeit der Ehe.
Eine kirchliche Trauung ist deshalb auch bei standesamtlicher Wiederheirat in der katholischen Kirche nur möglich, wenn durch ein so genanntes Nichtigkeitsverfahren des kirchlichen Ehegerichtes die Ungültigkeit der Ehe von Anfang an festgestellt ist.
Aspekte des orthodoxen Eheverständnisses
Nach orthodoxem Verständnis ist die Ehe ein Sakrament bzw. Mysterion. Sie gründet in der Schöpfungstat Gottes. Gott selbst führt Mann und Frau zur ehelichen Gemeinschaft zusammen (Gen 2,24). Was von Anfang an in der Schöpfung grundgelegt war, hat Christus erneuert und zur Vollendung gebracht. Der Heilige Geist bewirkt, erhält und belebt ihre Einheit. Die Ehe wurzelt in der Liebe des Dreieinigen Gottes.
In der orthodoxen Kirche gilt allein der Bischof oder Priester als Spender des Ehesegens, daher kann das Ehesakrament als gnadenvermittelndes Handeln der Kirche nur durch deren Mitwirkung zustande kommen.
Eine ausdrückliche Erfragung des Ehewillens bei der Trauung ist in der orthodoxen Kirche nicht üblich, da der kirchlichen Trauung die kirchliche Verlobung vorausgeht. Das äußere Zeichen des Verlöbnisses ist die Segnung und der Austausch der Ringe. Der Gottesdienst hat seinen Höhepunkt in der Krönung von Braut und Bräutigam mit den Hochzeitskronen. Deshalb wird dieser Gottesdienst auch „Krönung“ genannt.
Anders als in der katholischen und evangelischen Kirche gehört es zur orthodoxen Überzeugung, dass die christliche Ehe auch über den Tod eines Partners hinaus fortdauert. In der Praxis wird allerdings eine zweite oder dritte Eheschließung als Zugeständnis an die Schwäche der des Menschen erlaubt. Vorausgesetzt wird dabei, dass eine Ehe so zerstört ist, dass von ihrem faktischen „Tod“ auszugehen ist. Als solcher gilt z. B. die Verletzung der ehelichen Treue durch einen der beiden Ehepartner. Eine Auflösung der Ehe bzw. die Erlaubnis zur Wiederheirat aufgrund besonderer Umstände kann nur durch die kirchliche Obrigkeit gewährt werden. Die neue Eheschließung erfolgt nach einem einfacheren Trauungsritus, der Bußcharakter besitzt.
Gemeinsame ev.-kath. Positionen
Evangelische und katholische Kirche sind sich mit allen christlichen Kirchen und Gemeinschaften einig in ihrem ihre gemeinsame Glaubensgrundlage.
Die Ehe gehört an den Anfang der Schöpfung als Gottes gute Gabe (Fen 27f; 2,18 ff.); sie steht unter dem Schutz der grundlegenden Gottesgebote (Ex 20,17); das Miteinander von Mann und Frau in einer nach Gottes Willen gelebten Ehe kann für den Bund zwischen Christus und seiner Kirche zum Gleichnis werden (Eph 5,26ff.). Nicht für jeden Menschen ist die Ehe der gewiesene Weg (Mt 19,10ff.); für Eheleute aber ist das Bleiben in ihrer Ehe und nicht die Scheidung das Gottgewollte (Mt 19,3 ff.). In der Ehe schenkt Gott der Liebe zweier Menschen ein Haus; deshalb gehören zu ihr die Dankbarkeit, aber auch die Treue und die Verantwortung. Ehe hat ihren persönlichen Gestaltungsspielraum, aber sie hat auch ihre Ordnung und ihren Bezug zur Gemeinschaft des Rechtes wie des Glaubens. Einen Zwang kann es, wenn die Ehe Gottes gutes gnädiges Angebot ist, weder zur Ehe noch in ihr geben; und wer seinen Lebensweg ohne Ehe gehen muss oder um seines Lebensauftrages wegen will, dem gilt unter Christen Verständnis; aber auch er kann und soll Ehe achten und Ehen helfen.
Somit kann zusammenfassend gesagt werden:
- Die evangelische und katholische Kirche stimmen darin überein, dass die Ehe eine vom Schöpfer gestiftete Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau ist, deren Sinn im unbedingten liebenden Mit- und Füreinander der beiden Partner und in ihrer Offenheit für mögliches neues Leben liegt. Sofern die Partner ihre Gemeinschaft in dieser Weise verstehen und gestalten, ist auch die Ehe von Nichtchristen eine dem Schöpferwillen entsprechende Ehe.
- Die evangelische und katholische Kirche stimmen darin überein, dass die Ehe durch das freie, vorbehaltlose Ja der Ehepartner zueinander begründet wird. Die Ehepartner bekunden darin ihren Willen, sich ausschließlich und endgültig miteinander zu verbinden. Ein freies, unbedingtes Ja ist nur zwischen zwei gleichberechtigten Personen möglich; dies schließt eine Vielehe aus. Die evangelische und katholische Kirche stimmen darin überein, dass die Ehe darauf angelegt ist, Leben weiterzugeben. Die Zahl der Kinder ist in die Verantwortung der Eltern gelegt. Die evangelische und katholische Kirche stimmen darin überein, dass in der sexuellen Begegnung das Ja der Partner ganz menschlich Ausdruck findet. Die Sexualität ist eine positive Kraft, die das gegenseitige Übereignetsein der Partner vertieft und verstärkt. Die evangelische und katholische Kirche stimmen darin überein, dass die Ehe für den christlichen Glauben eine besondere Beziehung zur Heilsoffenbarung in Christus aufweist. Durch den Grundzug unbedingter gegenseitiger Hingabe und Verlässlichkeit wird die Ehe zu einem Zeichen für den Treuebund Gottes mit seinem Volk. Diese Beziehung der Ehe zu Christus wird in verschiedenen Denkmodellen zum Ausdruck gebracht. Die katholische Kirche sieht die Ehe als Sakrament an, d. h. ihre Ehe ist nicht bloß Gleichnis und Symbol des Gnadenbundes, sie hat selbst an seiner erlösenden Kraft Anteil. Die evangelische Kirche sieht die Ehe als einen durch Gottes Wort geheiligten Stand, in welchem Mann und Frau von Gottes Gnade und Treue leben. Die katholische und evangelische Kirche stimmen darin überein, dass die Ehe auf Lebenszeit angelegt ist. Allerdings sehen beide Seiten auch, dass es Situationen gibt, in denen eheliches Zusammenleben nicht mehr zumutbar ist und Lösungen gefunden werden müssen, die der Lebenswirklichkeit der Menschen Rechnung tragen und zugleich das Gut der Ehe schützen.