Der Papst hat es sich so gewünscht. Gott führe den Menschen nicht in Versuchung, der Mensch gerate höchstens in eine solche. Deshalb ändert sich für Katholiken ab dem 29. November der Wortlaut – in Italien zumindest. Und in Deutschland?
Das Vaterunser genießt in der christlichen Tradition eine einzigartige Stellung, es ist so etwas wie das zentrale Gebet des Christentums. In zwei Versionen im Neuen Testament überliefert, wird es auf Jesus selbst zurückgeführt und darum auch Herrengebet genannt. Der frühchristliche Schriftsteller Tertullian bezeichnet es in seiner Abhandlung »Über das Gebet« als »breviarium totius evangelii« – als eine Kurzform des ganzen Evangeliums.
Nun hat die italienische Bischofskonferenz auf ihrer Vollversammlung im vergangenen Herbst beschlossen, den Wortlaut des Vaterunsers an einer wichtigen Stelle zu ändern. Anstelle von »und führe uns nicht in Versuchung « sollen die Katholiken beten: »Lass uns nicht in Versuchung geraten.«
Papst Franziskus zweifelt an Übersetzung
2020 wollen die Verantwortlichen die neue Formulierung ins Messbuch einfügen. Ab dem 29. November sollen die Katholiken es mit diesem geänderten Satz in den Messen beten. Die Formulierung geht auf einen Wunsch des Papstes zurück. Franziskus hatte Ende 2017 in einem Fernsehinterview des Senders TV2000, der zur italienischen Bischofskonferenz gehört, Zweifel geäußert an der Übersetzung »und führe uns nicht in Versuchung« – vor allem in der italienischen und der deutschen Sprache.
Es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um zu sehen, wie er falle. Dies tue Satan, nicht ein Vater, so der Papst. Er bezog sich auf die deutsche Fassung der Vaterunser-Bitte: »Ein Vater tut so etwas nicht; er hilft, sofort wieder aufzustehen.« Neben dieser Begründung im Fernsehinterview mag auch die spanische Muttersprache des Papstes eine Rolle gespielt haben; dort heißt die entsprechende Bitte: »no nos dejes caer en la tentación «, das mit »Lass uns nicht in Versuchung fallen« übersetzt werden kann.
In dem Interview erwähnte der Papst, dass die französischen Bischöfe die Bitte bereits Mitte 2017 geändert und ab Ende 2017 in die liturgischen Formulare eingeführt haben. Dort betet man nun »Et ne nous laisse pas entrer en tentation«, was mit »Lass uns nicht in die Versuchung eintreten « übersetzt werden kann.
Mit dem Vorstoß des Papstes kam es auch in Deutschland zu einer Diskussion. Die deutschen Bischöfe mit Kardinal Reinhard Marx an der Spitze sahen keinen Veränderungsbedarf. Im Januar 2018 äußerten sich die deutschen Bischöfe dezidierter. Sie erklärten, an der bisherigen Fassung des Vaterunsers festhalten zu wollen. In Bezug auf den Änderungsvorschlag waren sie der Meinung, dass bei näherer Betrachtung sehr gewichtige Gründe dagegensprächen, gleich ob man nun philologische, exegetische, liturgische oder nicht zuletzt auch ökumenische Gründe stärker gewichte.
Was die Übersetzung betrifft, sei die gängige Fassung nah am griechischen Wortlaut des Gebets, wie es im Matthäus- und im Lukasevangelium in ihren ältesten Fassungen überliefert sei. Auch die konfessions- und länderübergreifende Einheitlichkeit des Gebets spreche gegen eine Änderung. Sie führten außerdem theologische Gründe an. Aus der Bitte »Führe uns nicht in Versuchung « spreche nicht der Verdacht, »Gott könne wollen, dass ein Mensch scheitert, sondern der Glaube an seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit«.
Allerdings räumten sie ein, dass in dem Gebet die »abgründige Erfahrung« angesprochen werde, dass »Gott einen Menschen über seine Kraft hinaus prüfe«. Auch die Verantwortlichen auf evangelischer Seite lehnten eine Änderung des Textes ab. Der frühere thüringische Landesbischof und Leiter der Revision der Lutherbibel, Christoph Kähler, sagt, der Wortlaut des Vaterunsers sei keine Frage der richtigen Übersetzung, sondern der angemessenen Deutung.
Das Argument, ein aramäischer Text von den ersten Christen sei unangemessen übersetzt worden, findet er nicht schlüssig. Es sei schließlich keine Autorenübersetzung am Schreibtisch gewesen, sondern eine mündliche Überlieferung, die sich in zweisprachigen Gemeinden vollzog und dort von mehreren Gemeindemitgliedern kontrolliert wurde und gegebenenfalls verbessert werden konnte.
Keine Erlösung mehr vom Übel, sondern vom Bösen
Allerdings ist die Situation wesentlich komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Jesus selbst hat aramäisch gesprochen und die griechische Übertragung ist schon eine Interpretation. Aber woran sonst soll sich der Gläubige halten? Und: Gott – im griechischen Original Subjekt – hat in Versuchung geführt! Abraham, Jesus und andere. Hier zeigt sich seine sehr persönliche Seite. Hinzu kommt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und dem Bösen. Ist es ein Gott, allmächtig und am Ende auch stärker als das Böse und mächtig über das Böse? Oder woher kommt die Versuchung, wenn Gott den Menschen dieser überlässt?
Was daran erinnert, dass das Vaterunser 1971 im Blick auf die Unterscheidung zwischen dem Bösen und dem Übel geändert wurde. Mit Martin Luther hatte sich bei der siebten Bitte »Erlöse uns von dem Übel« eingebürgert. Bis sich Katholiken und Protestanten auf »Erlöse uns von dem Bösen« verständigten. Die deutsche Sprache kann da unterscheiden, andere nicht, sie haben nur ein einziges Wort dafür.
»Wenn wir von Übel sprechen, sehen wir sowohl die Seite des Täters als auch die des Opfers. Wenn wir vom Bösen sprechen, tritt dagegen die Seite in den Vordergrund, die das Böse verursacht«, schrieb Altbischof Wolfgang Huber 2017 zu dem Thema. Die Frage, um die es bei der Übersetzung geht, ist, dass einerseits Gottes Personalität zu achten ist, aber zugleich dem Bösen das Personsein zu bestreiten.
von Pfr. Martin Bräuer D.D.
Sonntags-Zeitung vom 23.2.2020