Das diesjährige Junge Forum Freikirchen (JFF) des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim (KI) konnte am 10. und 11.9.2021 durchgeführt werden, wie letztes Jahr in hybrider Form. Das Thema war „Zwischen Berufung und Bibelkritik: Theologische Ausbildungen ökumenisch diskutiert“. Die Tagung wurde von Vorträgen von Lukas Link, Prof. Dr. Ulrike Schuler und Prof. Dr. Spangenberg in Präsenz sowie von Prof. Dr. Kenneth Appold und Prof. Dr. Regina Sommer, die online zugeschaltet wurden, geprägt.
Den Auftakt machte stud. theol. Lukas Link mit seinem Vortrag „Landkarte freikirchlicher Ausbildungsformen und -stätten“, in dem er eine Strukturtypologie für Freikirchen und die ihnen zugehörigen freikirchlichen Ausbildungsstätten vorschlug. In der Typologie arbeitete er eine Kategorisierung der verschiedenen Freikirchen anhand ihrer Organisationsmodelle heraus, wobei vom Organisationsgrad der Kirche auch der Institutionalisierungsgrad ihrer Ausbildungsform abhängt. Damit war der Tagung ein dynamisches Kategorisierungsmodell für die Auseinandersetzung mit Theologischer Ausbildung in ihrem Wandel gegeben. Die anschließende Diskussion stellte die Bedeutungen von (informellen) Netzwerken, besonders für den Typ der freien Gemeinden, heraus.
Prof. Dr. Ulrike Schuler von der Theologischen Hochschule Reutlingen der Ev.-methodistischen Kirche trug den Vortrag „Vom Predigerseminar zur Theologischen Hochschule. Akademisierungsprozesse freikirchlicher Ausbildungsstätten am Beispiel der Theologischen Hochschule Reutlingen“ bei. Schuler zeichnete die Akademisierungsbewegung der methodistischen Predigerausbildung nach: Vom großen Gewicht, das auf die umfassende Belesenheit der frühen Laienprediger der methodistischen Bewegung gelegt wurde, bis zur Gründung von Ausbildungsstätten und dem damit zusammengehenden Anstieg des Bildungsniveaus in den Gemeinden. Sie hob dabei unter anderem die Bedeutung der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Landeskirche hervor, die der methodistischen Bewegung eine fehlende geordnete Theologieausbildung vorwarf und Methodist:innen von Kanzel, Abendmahl und Friedhof ausschloss. Die Akademisierungsbewegung mündete für die Ev.-methodistische Kirche schließlich im formell aufwändigen, aber inhaltlich kongruenten Schritt der staatlichen Akkreditierung ihrer Hochschule.
Prof. Dr. Kenneth Appold vom Princeton Theological Seminary berichtete von „Konfessionellen Positionen im universitären Diskurs an nordamerikanischen theologischen Fakultäten“. Er nutzte dabei den deutschen universitären Diskurs als Kontrastfolie, wobei er als ersten deutlichen Unterschied den Aufbau des Studiums in zunächst Liberal Arts für alle Studierenden und einer anschließenden Aufteilung in verschiedene Fächer, wie Theologie, nennt. Außerdem sind die Hochschulen im Unterschied zu den meisten deutschen Fakultäten nicht staatlich organisiert. Inhaltlicht prägt eine große konfessionelle und internationale Breite sowohl der Studierendenschaft als auch der Dozierendenschaft die nordamerikanischen Fakultäten, woraus eine inhaltliche Breite und Vielzahl an Perspektiven im Studium resultiert, aber sich weniger Grundwissen voraussetzen lässt.
Am Abend gab es die Möglichkeit für die Teilnehmer:innen, eigene aktuelle Forschungsprojekte vorzustellen, die zahlreich genutzt wurde und zu regem Austausch führte. Anschließend ging die Tagung in eine informelle und gesprächige Runde über, die Gelegenheit bot über das Gehörte und den Stand der ökumenischen Zusammenarbeit zu diskutieren sowie einander kennenzulernen.
Der zweite Tag begann mit einer Andacht von KI-Freikirchenreferent Dr. Lothar Triebel, der die Tagung auch leitete, anlässlich des Gedenkens des Terroranschlags vom 11. September 2001.
Inhaltlich wurde der zweite Tag von Prof. Dr. Volker Spangenberg von der baptistischen Theologischen Hochschule Elstal mit einem Vortrag eröffnet, der sich anhand des Studienangebots der Elstaler Hochschule mit der Thematik „Studium und Spiritualität. Frömmigkeitspraxis als Teil theologischer Ausbildung“ beschäftigte. Der Vortrag setzte mit einer Verhältnisbestimmung von Theologie und Spiritualität sowie vom geistlichen Beruf der Prediger:innen und ihrer eigenen Spiritualität an. Anschließend berichtete er von den Veränderungen des Theologiestudium an der TH Elstal; so entfällt heute die früher notwendige Referenz der Heimatgemeinde, um das Studium antreten zu können. Darüber hinaus ist eine Ausdifferenzierung der Spiritualitäten auf dem Campus zu beobachten, während institutionell ein Schwerpunkt auf die Freiwilligkeit in der Frömmigkeitspraxis gelegt wird. Spangenberg benannte aber auch die Spannungen, die sich mit dem gleichzeitig verfolgten Ziel, die spirituellen Horizonte der Studierenden zu erweitern, ergaben. Außerdem berichtete er davon, dass aufgrund des großen Interesses der Studierenden Spiritualität als wählbarer Schwerpunkt des B.A.-Studiengangs eingeführt wurde.
Prof. Dr. Regina Sommer, Leiterin des Referates Theologische Aus-, Fort- und Weiterbildung im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, führte unter „Religion als Beruf. Pfarrer:innen-Ausbildung in der evangelischen Landeskirche“ in das Ausbildungssystem der Landeskirchen mit Vikariat ein und gab Einblicke in die aktuellen Reformprozesse. Dabei stellte sie unter anderem das zukünftige, flexiblere Konzept des Vikariats sowie einen Master-Studiengang für Quereinsteiger:innen vor. Anschließend an die größere Perspektive der Tagung entstand eine lebendige Debatte um die Frage nach der Anerkennung von Studienleistungen bzw. Abschlüssen an freikirchlichen Hochschulen durch die universitären theologischen Fakultäten und die Schwierigkeit insbesondere in Bezug auf ein Anschlussstudium bzw. eine Promotion.
Danach teilte sich die Tagungsgruppe in Arbeitsgruppen auf: Die AG Konfessionsklausel, die AG Theorie und Praxis und die AG Theologiestudium im 21. Jahrhundert. Die Arbeitsgruppen griffen besonders die Diskussionen aus dem vorherigen Vortrag auf, so vor allem die AG Konfessionsklausel, die sich mit eben jener in der universitären Theologieausbildung auseinandersetzte. Die Konfessionsklausel regelt die Zulassung zum Studium der evangelischen Theologie anhand der Zugehörigkeit der Studierenden zu einer evangelischen Kirche oder zu einer anderen Mitgliedskirche des ÖRK und überlässt Ausnahmen den jeweiligen Prüfungsordnungen. Die meisten Fakultäten richten sich nach dieser Vorgabe, lediglich Universitäten in Berlin, Rostock und Leipzig haben keine solche Klausel. Hieran schloss sich eine Diskussion um Gründe für die Klausel an.
Die AG zu Theorie und Praxis beschäftigte sich mit der Leitfrage „Was stört mich im Theologie- und Diakoniestudium am Umgang mit Spiritualität und Frömmigkeitspraxis?“ mithilfe der Methode der Zukunftswerkstatt und fasste die Ergebnisse wie folgt zusammen: „In der Kritikphase haben wir erstens die Überproblematisierung des Themas festgestellt, da insgesamt von einem negativen Ansatz ausgegangen wird und es letztlich keine klare Gegenposition gibt. Außerdem empfinden wir zweitens den despektierlichen Umgang – von zumeist professoraler Seite – mit gewissen Frömmigkeitsvorstellungen als störend. Ferner kritisieren wir drittens das Unverständnis für eine wenig vorhandene Frömmigkeitspraxis und, dass es letztlich kein niedrigschwelliges Angebot für interessierte Menschen gibt. In der Phantasiephase, in der kreative und utopische Verbesserungsvorschläge für die einzelnen Kritikpunkte besprochen werden, ist uns zu erstens wichtig, dass wir uns eines normativen Labels enthalten möchten und wir vielmehr positiv und kommunikativ an das Themenfeld Frömmigkeitspraxis und Studium herangehen wollen. Zweitens möchten wir auf die unsichtbare Frömmigkeitspraxis hinweisen, zu eigener Toleranz hinsichtlich unterschiedlicher Frömmigkeitskonzepte ermutigen und bereits das Interesse aneinander honorieren. Hinsichtlich des dritten Kritikpunktes schlagen wir vor, die eigene Voreinstellung zu hinterfragen und unterschiedliche Frömmigkeiten aushalten zu lernen und offen miteinander zu kommunizieren, ohne sich als Wissenschaftler*innen über Frömmigkeiten zu erheben.“
Die AG zu Theologiestudium im 21. Jahrhundert beschäftigte sich mit den Herausforderungen, die die Gegenwart an das Theologiestudium stellt, den sich daraus ergebenden notwendigen Kompetenzen und was die ‚perfekte Pfarrperson‘ ausmacht. Von dieser Konstruktion aus wurde dann über Perspektiven auf das Theologiestudium diskutiert. Dazu wurden zuerst die Herausforderungen für die soziale Kohäsion geäußert, die sich durch eine immer komplexer werdende Gesellschaft, die Digitalisierung und durch soziale Ungleichheit ergeben. Hinzu kommen kirchliche Herausforderungen, wie die Krise des Volkskirchenmodells, den Umgang mit Finanzen und die Frage der Organisation diakonischer Projekte und einer Ethik des politischen Einflusses. In Bezug auf notwendige Kompetenzen wurden technische Fähigkeiten, kulturelles Wissen im ökumenischen und interreligiösen Dialog, Kompetenzen in der interkulturellen Kommunikation und Mediation festgehalten. Über diese Punkte herrschte weitestgehend Einvernehmen in der Arbeitsgruppe. Die Frage nach der ‚perfekten Pfarrperson‘ wurde anschließend vor allem anhand des Verhältnisses von Person und Amt mit den Stichworten ‚Amt und Charisma‘ sowie ‚das Amt trägt die Person‘ und ‚die Person trägt das Amt‘ diskutiert. Dabei kristallisierte sich als gemeinsame Vorstellung der Begriff des Raumöffners heraus, einerseits in der Zwischenbegegnung der Gemeindeglieder und andererseits gleichursprünglich in der Wortverkündigung Raumöffner der geistigen Dimension. Resümierend konnte nur kurz die Frage nach der theologischen Ausbildung eröffnet werden, wobei besonders Konsequenzen für die Homiletikausbildung und das Lehrangebot der Praktischen Theologie angesprochen wurden.
Wie bereits 2020 zeitigte das Junge Forum Freikirchen sowohl bei den Vortragenden als auch bei den Teilnehmer:innen eine große konfessionelle Vielfalt. Dadurch konnten die Fragen der theologischen Ausbildungen aus zahlreichen theoretischen und praktischen Perspektiven beleuchtet und diskutiert werden. Die Tagung des JFF eröffnete ein Panorama der verschiedenen Ausbildungsformen und ihrer Geschichte und drängte in den Diskussionen auf die Frage nach einer ökumenischen Perspektive der gegenseitigen Anerkennung. Bevor die Tagung beendet wurde, fand sich eine Gruppe von Studierenden zusammen, die gemeinsam mit Lothar Triebel die Tagung des Jungen Forum Freikirchen 2022 vorbereiten wird. Die Teilnehmer:innen verließen das Wolfgang-Sucker-Haus bereichert durch zahlreiche Eindrücke aus gegenwärtigen Entwicklungen in den verschiedenen Ausbildungsstätten und neuen Impulsen für die eigene Praxis. Herzlicher Dank geht sowohl an diejenigen, die vorgetragen haben, als auch an die EKD sowie an die Stiftung Versöhnen und Bekennen (SBV) des Evangelischen Bundes, deren großzügige finanzielle Unterstützung die Tagung möglich gemacht haben.
Paulien Wagener und Gero Menzel