Vor zwei Jahren war das kleine Land Armenien einige Wochen in den Schlagzeilen. Damals floh die armenische Bevölkerung aus der Republik Berg-Karabach (armenisch: Arzach), die von Azerbaidschan eingenommen worden war und seither nicht mehr existiert. Heute weiß hierzulande kaum jemand wie es den Geflohenen geht und wie die Lage in Armenien insgesamt aussieht.
Dabei gibt es lange schon Beziehungen zwischen Deutschland und Armenien, die über die unrühmliche Rolle Deutschlands im Genozid des Osmanischen Reiches an den Armeniern 1915/16 hinausreichen. Solche Beziehungen zwischen beiden Ländern werden heute verstärkt im kirchlichen und wissenschaftlich-theologischen Bereich fortgesetzt. Dazu diente eine Sommerakademie, die auf eine Initiative des armenischen Theologen Dr. Harutyun Harutyunyan zurückgeht. Sie wurde von der Staatlichen Universität Eriwan in Kooperation mit Prof. Dr. Regina Elsner von der katholischen Theologischen Fakultät der Universität Münster und Prof. Dr. Daniel Cyranka von der evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Halle und mit Unterstützung der Community Development NGO der Region Vayots Dzor durchgeführt und brachte ca. 35 Studierende aus den beiden genannten deutschen Universitätsstädten sowie von der Staatlichen Universität in Eriwan und auch von der Universität Tiflis im armenischen Bergort Hermon zusammen. Begleitet wurden sie von sieben Dozentinnen und Dozenten, zu denen auch die Orthodoxiereferentin des Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim gehörte.
In den Vorlesungen und Workshops standen die Fragen nach Frieden und Versöhnung im Vordergrund. Der Hintergrund dafür war bzw. ist die schwierige Situation, in der sich Armenien derzeit befindet. So war beispielsweise die Lage ca. 120000 geflüchteten Armenier aus Arzach im Herbst 2023 und ihre Aufnahme in Armenien eines der behandelten Themen. Aber auch das Gedenken an den Genozid sowohl in Armenien als auch in Deutschland stand auf dem Programm. Dazu gehörte u.a. ein Vortrag, der über eine „Theologie des Genozids“ nachdachte. Dies führte schließlich zur Frage nach den verschiedenen – auch religiösen – Aspekten der nationalen Identität eines Volkes im Allgemeinen und im Speziellen. Schließlich gab es einen exegetischen Vortrag über das Liebesgebot in der Bibel und eine Darstellung der Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirchen und seiner Arbeit im Bereich von Frieden und Versöhnung. Die Begegnung mit einem armenischen Gemeindepriester, der gleichzeitig Militärpfarrer ist und die Vorstellung der EU Mission in Armenien (EUMA) vervollständigten das Programm. Abschließend verbrachte die Gruppe noch einen Tag in Eriwan und besuchte das Genozid-Museum sowie die große armenische Handschriftensammlung im „Matenadaran“. Wie es sich für eine Sommerakademie gehört, waren auch Exkursionen zu Stätten des armenischen Kulturerbes wie beispielsweise eine erst vor wenigen Jahren entdeckte in der Steinzeit bewohnte Höhle oder das bekannte Kloster Noravank und andere alte Kirchen und Grabstätten Teil des Programms.
Dabei wurde daran erinnert, dass in Armenien das Christentum zum ersten Mal in der Geschichte Staatsreligion wurde, nämlich etwa 80 Jahre früher als im Römischen Reich. Theologisch hat sich die Armenisch Apostolische Kirche im weiteren Verlauf der Geschichte etwas anders entwickelt, als die Kirche im Römischen Reich. Das heißt, sie gehört zur Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen, die die Christologie des Konzils von Chalzedon (451) nicht übernommen haben.
Die Sommerakademie, die in dieser Weise erstmalig stattfand, war eine ökumenische Veranstaltung, bei der nicht nur theoretisch über Frieden und Versöhnung nachgedacht wurde, sondern bei der evangelische, römisch-katholische, byzantinisch-orthodoxe wie auch orientalisch-orthodoxe junge Christen sich gegenseitig näher kennenlernten und eine Grundlage für gemeinsames Handeln gelegt wurde.