copyright A. Hillert, WCC

Den Kirchen dabei behilflich zu sein, sich gegenseitig zur sichtbaren Einheit aufzurufen, diese Aufgabe hat sich die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (ursprünglich eine Bewegung, die mit zur Gründung des Ökumenischen Rates (ÖRK) beigetragen hat) als Zweck und Ziel auf die Fahnen geschrieben. Dabei hat sie im ÖRK von Anfang an eine Sonderstellung behalten, die sich daran festmacht, dass sie weiterhin Weltkonferenzen durchführt und dass die römisch-katholische und andere Nicht-Migliedskirchen des ÖRK hier offiiziell mitarbeiten. Nun hat – mehr als dreißig Jahre nach der letzten Weltkonferenz in Santiago de Compostela 1993 – vom 24. bis 28. Oktober 2025 in Wadi El Natrun in Ägypten die 6. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) stattgefunden. Der Tagungsort in dem zwischen Kairo und Alexandria in der Wüste gelegenen „Papal Logos Center“ der Koptischen Kirche, war ein groß angelegtes neues Konferenzzentrum neben einem der historischen Klöster, die in dieser Gegend seit dem 4. Jahrhundert beheimatet sind.

copyright D.Heller

Insgesamt 400 Personen waren anwesend, darunter 160 Kirchendelegierte, 60 Berater und Gäste sowie 80 Teilnehmer des theologischen Nachwuchsförderungsprogramms GETI (Global Ecumenical Theological Institute). Vom Konfessionskundlichen Institut waren Dr. Kai Funkschmidt und Dr. Dagmar Heller mit dabei, die für den Materialdienst des KI bzw. für die Ökumenische Rundschau berichten.

Die ökumenische Landschaft hat sich seit der westlich-protestantisch dominierten ersten Faith and Order Konferenz in Lausanne 1927 und verstärkt in den letzten dreißig Jahren spürbar verändert. Hatte der Tagungstitel von Santiago 1993 noch optimistisch verkündet, man sei „On the Way to Fuller Koinonia“, so stellte man sich diesmal nur eine Frage: „Where now for visible unity?“ Erkundet wurde das Thema in drei thematischen Blöcken, die man mit „Faith“, „Mission“ und „Unity“ überschrieben hatte.

Als Subtext wurde auch dieser Anlass wie so viele andere in diesem Jahr vom 1700-jährigen Jubiläum des Konzils von Nicäa begleitet. Dabei knüpfte man in Wadi El Natrun an das Treffen von Santiago de Compostela an, stellte aber den Auftrag der Kirche, sich für die gebrochene Welt, für Gerechtigkeit und Dialog einzusetzen, stärker in den Vordergrund als damals. Von den Plenumsvorträgen waren nur wenige von theologisch-dogmatischen Fragen geprägt, etwa danach, was man unter der „Einheit“ und der „Sichtbarkeit“ im Konferenzthema verstehe. Eher pauschal stellte die Vorsitzende der Kommission, Professorin Dr. Stefanie Dietrich von der Kirche von Norwegen fest, es gehe heute stärker um ein ganzheitliches Verständnis von Einheit, als dies zu Beginn der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung der Fall war. Dementsprechend wiederholt das Abschlussdokument die Eckpunkte der sichtbaren Einheit, wie sie seit den 1960er-Jahren festgestellt wurden, nämlich das gemeinsame Bekenntnis zum apostolischen Glauben, die gegenseitige Anerkennung und Feier der Taufe und der Eucharistie, die Anerkennung der Ämter. Gleichzeitig wird aber betont, dass christliche Einheit nicht ausschließlich mit einer institutionellen Einheit gleichgesetzt und auch nicht nur durch vereinbarte Texte (wieder) hergestellt werden kann, sondern das tägliche christliche Leben „in gemeinsamem Gebet und Bibelstudium, in der ständigen Weitergabe des Erbes und der Tradition der Urkirche, in persönlichen Begegnungen und Treffen zwischen Gläubigen, Theologen und Kirchenführern unterschiedlicher Konfessionen sowie im gemeinsamen Dienst an und in der Welt“ hinzutreten müssen. Es wurde in vielen Vorträgen auffallend häufig auf die globalen ethischen Herausforderungen für die Kirchen rekurriert und „solidarity with those who are marginalized by gender, race, poverty, disability, or ecological devastation“ gefordert und damit – sehr allgemein – die klassische Suche nach kirchlicher Einheit in den Kontext der allgemeinen Weltlage gestellt.

Dass bei dieser Konferenz nur die Hälfte der Zeit zur Verfügung stand, wie noch 1993, hatte zur Folge, dass nicht nur in der Frage nach der Einheit, sondern auch an anderen Stellen viele Fragen offen blieben. Das Thema Mission z.B. wird im Abschlussdokument zwar kurz als „rooted in the identity of the church“ bezeichnet, inhaltlich aber einseitig negativ aus „dekolonialer“ Perspektive umrissen.

Die Hauptarbeitsform waren Plenumssitzungen, die von Vorträgen oder Podiumsdiskussionen zu den drei thematischen Blöcken geprägt waren. Nachmittags teilten sich die Teilnehmenden in Sektionen auf, in denen zu den drei derzeitigen Arbeitsbereichen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (1. Being Church on the Way to Visible Unity, 2. Being Human: Discerning Humanity in the Image of God, 3. Being Church in and for the World) gearbeitet wurde. Zusätzlich gab es an zwei Tagen noch insgesamt 23 Workshops, in denen spezielle Fragen aufgenommen wurden. Mit diesem dichten Programm innerhalb von vier Arbeitstagen (der Sonntag war dem Besuch von Gottesdiensten und Ausflügen zu den koptischen Klöstern im Wadi El Natrun oder zu den Pyramiden gewidmet) hatte Faith and Order sich so viel vorgenommen, dass wenig Zeit zur Vertiefung blieb und ein Überblick über den Gesamtertrag für Außenstehende schwierig ist. Aus den Plenumssitzungen blieb der Eindruck, dass die die klassische Trennung zwischen der Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work) und der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung aufgehoben ist oder zumindest beide Ansätze sich einander angenähert haben. Das kann positiv oder negativ bewertet werden. Aus der Arbeit der Sektionen gingen Empfehlungen für die weitere Arbeit der Kommission hervor, die allerdings dem Plenum nicht mehr vorgestellt werden konnten und daher nur intern eine Rolle spielen. Ähnliches gilt von den Workshops.

copyright A. Hillert, WCC

Was als Ergebnis einer solchen Konferenz allerdings nicht unterschätzt werden sollte, sind die zahlreichen Begegnungen, die zu besserem Kennenlernen verschiedener Kirchen führten. An erster Stelle sind hier die Gastgeber zu nennen: Die Konferenzteilnehmenden waren tief beeindruckt von der Koptischen Kirche, die den meisten bis dahin nicht aus erster Hand bekannt gewesen sein dürfte. Die Veranstaltung fand im Herzland des koptischen Mönchtums statt (früher als „sketische Wüste“ bekannt), was durch die Anwesenheit zahlreicher Mönche und durch Klosterbesuche unterstrichen wurde. Anders als bei ÖRK-Konferenzen sonst üblich war das Freiwilligenteam diesmal allein aus jungen Kopten zusammengesetzt, so dass sich viel Gelegenheit zum Gespräch mit „normalen“ Gemeindechristen ergab. Eine junge, eine lebendige, eine selbstbewusste und zukunftsfrohe Kirche, in der, so wurde uns berichtet, nicht einmal das Mönchtum Nachwuchssorgen hat. Und die koptischen Vertreter, die auf dem Podium auftraten, vermittelten eine ökumenische Offenheit, die so bisher in ÖRK-Zusammenhängen nicht sichtbar war. U.E. hätte in der Abschlussbotschaft der Konferenz durchaus deutlicher auf die Situation dieser Kirche in einem mehrheitlichen muslimischen Land hingewiesen werden können. Zwar wurde uns versichert, dass die derzeitige Lage wesentlich besser ist als noch vor 10 Jahren, – nur deshalb waren die beeindruckenden Bauten des „Papal Logos Centers“ überhaupt möglich -, dennoch war immer wieder zu spüren, dass man sich von der muslimischen Bevölkerung nicht immer voll akzeptiert und als gleichberechtigt anerkannt fühlt.

Außer den koptischen Stimmen, die zur Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen gehören, waren auch Stimmen aus dem globalen Süden generell und insbesondere aus pentekostalen Kirchen auf dieser Konferenz deutlicher zu hören als in Santiago 1993. Das zeigt: Die ökumenische Bewegung und insbesondere Glauben und Kirchenverfassung ist bunter geworden. Das macht die Suche nach Einheit nicht unbedingt einfacher, aber spannender. Nicht von ungefähr forderte daher der Kurienkardinal Koch in seinem Vortrag, das Verhältnis zwischen Einheit und Vielfalt neu zu überdenken und sich dazu das Nizänokonstantinopolitanische Glaubensbekenntnis neu anzueignen. Damit wollte er das Modell der Dreiheit in der Einheit Gottes als Einheitsmodell für die Kirchen in den Vordergrund rücken, in dem Einheit und Vielfalt in die richtige Beziehung zueinander gesetzt werden. Dies konkret auszubuchstabieren bleibt nun Aufgabe der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung.

 

Ansprechpartner

Pfrin. Dr. Dagmar Heller
Wissenschaftliche Referentin für Orthodoxie und Leitung

Telefon

06251.8433.19

Dr. Kai Funkschmidt
Wissenschaftlicher Referent für Anglikanismus und Weltökumene

Telefon

+49-6251-8433-21