„Wie sind Doktrin und Disziplin, dogmatischer Zugang und pastorale Nähe zu verbinden?“ – so formulierte der Bericht einer der französischen Sprachgruppen bei der Außerordentlichen Vollversammlung. Es ist sicher wichtig für die katholische Kirche, über die Vermittlung zwischen diesen Polen offener nachzudenken. Aber damit ist es nicht getan, wie die jüngste Bischofssynode direkt und mehr noch indirekt gezeigt hat. Notwendig wäre nämlich eine neue Reflexion über Quellen und Methoden der katholischen Glaubens- und Sittenlehre als solcher. Darauf hat nicht zuletzt Bischof Johan Bonny hingewiesen: Die Gegenüberstellung von Pastoral und Lehre scheine ihm zu kurz gegriffen und könne sich nicht auf die Lehre der Kirche berufen. Pastoral habe ganz und gar mit Lehre zu tun, und Lehre ganz und gar mit Pastoral. Bonny weiter: „Die Lehre der katholischen Kirche über Ehe und Familie ist in einer breiten Tradition zu finden, die im Lauf der Geschichte immer neu Form und Inhalt erhalten hat. Diese Tradition ist nicht zu Ende. Jede Zeit konfrontiert die Kirche mit immer neuen Fragen und Herausforderungen.“
Damit stellt sich auf jeden Fall die Frage nach dem Verhältnis von kirchlichem Lehramt und Theologie. Gerade auf sexualethischem Gebiet hat die neuere katholische Moraltheologie nicht nur im deutschen Sprachraum Ansätze entwickelt, die aus einem verengten Verständnis von „natürlichem Sittengesetz“ herausführen und die gelebte Wirklichkeit heutiger Menschen in ihren positiven wie problematischen Zügen ernstnehmen (Vgl. dazu: Herder Korrespondenz spezial: Leibfeindliches Christentum? Auf der Suche nach einer neuen Sexualmoral, Oktober 2014). Zu erwähnen ist hier nicht zuletzt das Dokument der Internationalen Theologenkommission beim Heiligen Stuhl von 2009: „Auf der Suche nach einer universalen Ethik: Ein neuer Blick auf das natürliche Sittengesetz.“
Es geht letztlich auch über die von der Bischofssynode behandelten Themen hinaus um eine Neujustierung der drei Größen Lehramt, Theologie und „Glaubenssinn des Gottesvolkes“ in der katholischen Kirche. Es war ein Markenzeichen des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass neue theologische Einsichten in die amtlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einflossen. Unter Papst Franziskus, der von einer „Theologie des Volkes“ geprägt ist (Vgl. jetzt: Daniel Deckers, Papst Franziskus. Wider die Trägheit des Herzens, München 2014), eröffnen sich neue Möglichkeiten dafür, die gegenseitige Angewiesenheit von Lehramt, Theologie und Gottesvolk zu praktizieren.
Ulrich Ruh ist katholischer Theologe und Publizist; er war bis Oktober 2014 Chefredakteur der Herder-Korrespondenz.