Schwerpunkte freikirchlicher Theologie

Schwerpunkte freikirchlicher Theologie sind Verstärkungen und Weiterführungen reformatorischer Anliegen und Neuerungen:

Das Prinzip des allgemeinen Priestertums

Freikirchen verstehen sich als Laienkirchen. Nach ihren Ordnungen ist der Unterschied zwischen Ordinierten und Nicht-Ordinierten besonders gering. Obwohl es Freikirchen mit bischöflicher Verfassung gibt, haben sie die in der Reformation erkannte Spannung zwischen Amt und Gemeinde, zwischen Rang, Bedeutung, Funktion, Bezahlung und Sendung besser in den Griff bekommen als manche Landeskirchen. Im Zentrum freikirchlichen Amtsverständnisses stehen biblische Aussagen über die verschiednen Charismen und Dienstfunktionen.

Erfahrung und Gemeinschaft

John Wesley, der Vater des Methodismus im 18. Jahrhundert, hat gesagt: „Niemand kann ein Christ sein, er habe es denn erfahren.“ Damit kommt wie in Luthers erster Invokavitpredigt zum Ausdruck, dass kein  Mensch stellvertretend für den anderen glauben kann. Jeder soll mit seinem Herzen glauben und mit seinem Mund bekennen. Die Bandbreite freikirchlicher Glaubenserfahrungen ist groß.

Missionsarbeit und Religionsfreiheit

Allen Freikirchen geht um das Wachstum der eigenen Gemeinden wie um die Mission von Menschen, die dem Evangelium fern stehen. Es darf aber zu keinerlei Zwang in Glaubensfragen kommen. Die Freikirchen haben sich deshalb früh für Glaubens- und Religionsfreiheit eingesetzt und gehören zu den Vorkämpfern für dieses allgemeine Menschenrecht.

Frömmigkeit und Gemeindezucht

Die freikirchliche Frömmigkeit ist weithin stark vom Pietismus des 17./18. Jahrhunderts und von den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Begriffe wie Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung spielen eine entscheidende Rolle. Gerade in sexualethischen Fragen werden oft enge Grenzen gezogen, die nicht selten zu Ausschlüssen aus einer Gemeinde führen.

Ökumenische Lernbereitschaft

Viele Freikirchen wie Baptisten, Mennoniten oder Methodisten gehören zu den Wegbereitern der modernen ökumenischen Bewegung. Dem Monopolsanspruch einer einzelnen Kirche wird entgegen gehalten, dass alle Gemeinden Teil der einen Kirche Jesu Christi sind. Die sog. Zweigtheorie des presbyterianischen Predigers Gilbert Tennent (1703-1764) wurde bestimmend: Alle Kirchen, die das Christentum bekennen und seine Grundprinzipien beibehalten, sind ungeachtet ihrer verschiedenen „Benennungen“ (englisch „denominations“) nur eine Kirche Jesu Christi mit verschiedenen Zweigen des sichtbaren Gottesreiches. Die Freikirchen kennen keine einheitliche Tauflehre und Taufpraxis. Viele kennen nur die Glaubenstaufe und lehnen mit biblischer Begründung die Taufe von Säuglingen und Kleinkindern ab. Dies führt nicht selten bei Übertritten zu Konflikten und zum Vorwurf, sog. Wiedertaufen durchzuführen. Gespräche zwischen Freikirchen und Landeskirchen versuchten gerade erst kürzlich wieder, hier theologische Brücken zu bauen. Wichtig aber ist zu wissen: Auch diejenigen Freikirchen, die auch die Kindertaufe praktizieren, verlangen in jedem Falle ein persönliches Glaubenszeugnis für die volle Kirchengliedschaft.

Walter Fleischmann-Bisten

Literaturhinweise

  • Walter Fleischmann-Bisten: Landeskirchen und Freikirchen in Deutschland. Veränderungen und Herausforderungen eines Unverhältnisses, in: MdKI 60, 2009, 3-9.
  • Ders.: Freikirchlich, in: Theologie für Lehrerinnen und Lehrer Bd. 5, hg. von Rainer Lachmann u.a., Göttingen 2010, 63-82.
  • Ders.: Reformation, radikale Reformation, Täufer und die Bauernkriege. Die Reformation zwischen Intoleranz und Revolution, in: Petra Bosse-Huber u.a. (Hgg.), 500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Internationaler Kongress zum Reformationsjubiläum 2017, Zürich/Leipzig 2014, 177-190.
  • Erich Geldbach: Freikirchen – Erbe, Gestaltung und Wirkung, BenshH 70, Göttingen ²2005.
  • Volker Spangenberg (Hg.): Luther und die Reformation aus freikirchlicher Sicht, KKR 59, Göttingen 2013.
  • Karl Heinz Voigt: Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert), Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/6, Leipzig 2004.
  • Ders.: Ökumene in Deutschland. Internationale Einflüsse und Netzwerkbildung 1848-1945, KKR 62, Göttingen 2014.

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